Kategorien
Allgemein

10. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. Mit dem KELAG Preis prämierter Bachmanntext von Egon Ch. Leitner

Viel scheint sich, vom Denkansatz her, in den letzten 175 Jahren, wohl nicht geändert zu haben und wir bekommen aus den Schlachthöfen und von Erntehelfern quer durch Europa Bilder zu sehen, die den einstigen Lebensbedingungen des 19. Jahrhunderts bedrohlich näher kommen. Es ist Zeit für eine Aufarbeitung. Die heutige Lage der arbeitenden Klasse in Europa drängt in den Vordergrund. Ich sehe schon, wie so einige zusammmenzucken beim Wort „arbeitende Klasse“, die es nach all den Jahrzehnten nicht mehr geben soll. Getauscht: Arbeitnehmer – Arbeitgeber. Wer gibt wohl, wer nimmt wohl?

Die Pandemie, scheints, funktioniert wie eine Lupe und bringt zutage, was unsichtbar schien. Egon Christian Leitner lenkte schon 2012, in seinem Sozialstaatsroman „Des Menschen Herz“, den Blick auf diese Verhältnisse und wurde als übertriebener Mahner gerne zur Seite geschoben. Sein nun mit dem KELAG Preis prämierter Bachmanntext ist die Fortsetzung des Sozialstaatsromans, er ist eine Erweiterung und Konkretisierung der vor unseren Augen sich einschleichenden Verelendung der Gesellschaft, die „die ‚Verdrittweltlichung der Ersten Welt‘ (zB. ewiger, stets verleugneter Pflegenotstand), nicht durch die Flüchtlinge, sondern durch den Narzissmus der Eliten“ offensichtlich macht.

Die Schere wird immer weiter geöffnet, ihre Schneiden werden schärfer. Dass dieser Inhalt beim Bachmannbewerb gewürdigt wurde –  Klaus Kastberger hat den Text nominierte und wurde fast selbst vom Erfolg überrascht – ist der sichtbar und greifbar  gewordenen Wirklichkeit geschuldet. Es scheint sich eine Verschiebung der Wahrnehmung anzukündigen, die nur noch deutlicher, nur noch klarer darauf hinweist, wie groß die Not nach einer Aufarbeitung der sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und der damit verbundenen menschlichen Lebensbedingungen geworden ist und wie schmerzhaft und zerstörend  das fehlende Helfen und Beistehen ist. Leitners Sozialstaatsroman und sein prämierter Text können hier dankbare Haltegriffe sein.

Stimmen zu Egon Christian Leitner:

Deutschlandfunk: Egon Christian Leitner las den sozialkritischen Text „Immer im Krieg“ in Form von einzelnen Geschichten über Menschenschicksale im Sozialstaat. Für Philipp Tingler zu rigide und verstaubt, doch die übrigen Jurymitglieder fanden verteidigende Worte. Klaus Kastberger war regelrecht begeistert. In seiner Laudation wandte er sich direkt an Egon Christian Leitner: Er sei „glücklich, dass diese Art von Literatur in Klagenfurt eine Chance hat.“ Sein bisheriges Werk umfasse drei Bände. Alles fügte sich zu einem Begriff: Sozialstaatsroman. Darin benenne Leitner auch drängende Probleme: „Sozialstaat selbst hat auch ein Problem, in diesen Gesellschaften ist bei weitem nicht alles gelöst. Wir müssen auf dies ungleichen Verteilungen schauen.“ Er halte die Preisvergabe daher „für ein kleines Wunder.“ 

SWR: „Der Grazer Schriftsteller Egon Christian Leitner, der mit seinem wuchtigen Werk gegen die herzlosen Verhältnisse im Sozialstaat zu Felde zieht (..) ist ein Berserker, ein aus der Zeit gefallener, der vielleicht gerade deshalb unsere Zeit so gut beschreiben kann. Sein Schaffen, das auf vielen hundert Seiten bereits veröffentlicht ist, gilt es nun zu entdecken.“ (SWR)

ORF: „Klaus Kastberger sagte zu seinem zweiten Autor, dieser habe 1.200 Seiten in seinem Werk von drei Bänden geschrieben, ein Sozialstaatsroman, dessen vierter Band im Herbst erscheine. Er weise Leser in einer unglaublich rigiden Art auf Ungleichheiten im Sozialstaat hin, dass man hinschauen müssen. Das zentrale Wort sei das „so“, er stelle fest, wie es ist. „So, jetzt ist die magersüchtige Frau verhungert“, das „so“ zeigt sich auch heir: „So, jetzt hat Egon Christian Leitner einen Preis. So, jetzt haben Sie Ihren Preis und machen Sie, was Sie wollen“, so Kastberger ironisch zum Preisträger. Werner Pietsch von der KELAG gratulierte zum „mutigen und gelungenen“ Text, der Teil eines großen Ganzen sei. (…)“

Kategorien
Allgemein

9. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. “ Und, wie geht es dir?“ 3. Juni 2020

Grad heute, oder wars schon gestern, fragte mich ein Freund: Und, wie geht es dir? Hier, meine Antwort: 


Du fragst, wies läuft? Da gibt es keine eindeutige Antwort. Einerseits versuchen wir aus der Kurz-Arbeit heraus im digitalen Bereich eine breite Interessenswirkung für die Bücher zu entwickeln. Wir haben gute Resonanzen, die aber im Buchhandel gefiltert ankommen. Im öffentlich rechtlichem Bereich würden wir uns eine systematischere Unterstützung, nicht nur eine punktuelle wünschen, aber das ist wohl aus zweierlei Dingen nicht möglich: einerseits hat der ORF, aber auch die Zeitungen, ihre Kultur auf Kurz-Arbeit geschickt, andererseits sind unsere Vorstellungen, was wie zu tun wäre grundsätzlich verschieden, denke ich. In vielen Bereichen beginnt die mediale Welt wieder die Hochkultur anzubeten und vergisst, woher der Hummus kommt. Eine dritte Ebene, die das Leben schwerer macht, als notwendig, ist, dass wir keine Signale erhalten, wann die Verlagsförderung – und in welcher Höhe – kommen wird. Hätte, in unserem Fall, Kärnten nicht rasch seine Fördersumme vorgezogen angewiesen, stünden wir heute ohne Liquidsmittel da. Unsere reichen noch bis zur zweiten Junihälfte, dann wirds eng. Von der Bank hören wir, trotz Nachfrage seit 7 Wochen nichts. Nichts, was die Vorfinanzierung der Kurz-Arbeit – durch Rahmenerhöhung – nichts, was einen Kredit anbelangt. Du stehst da, wie die Kuh vor einer Bibel. 

Wir arbeiten sehr, sehr sparsam, betreuen einen Autor, der beim Bachmannbewerb auftreten wird, servisieren die Medien mit PDFs und Besprechungs-Exemplaren, vermitteln Interwievs, servisieren z.B. Radiostationen, die eine Sendung über 100 Jahre Volksabstimmung vorbereiten – nicht nur mit Büchern, auch mit Gesprächspartnern, die wir vermitteln. Wir machen wöchentlich ein Newsletter, der an tausende Abonnenten geht,  haben zwei Kataloge gemacht, bereiten die Frankfurter Messe vor, obwohl auch die in letzter Minuten fallen kann; ich bin in den Vorarbeiten für zwei Geschmacks-Filme, obwohl auch hier der Realisierungsfaktor bei 1:2 – ja oder nein – steht, gebe 3 Bücher heraus: eines ediere ich ganz, schreibe beim Zweiten das Vor- u das Nachwort; wir versuchen soweit wie möglich, die Bücher lieferbar zu halten und unserer Programmatik, Literatur aus dem europäischen Osten weiterhin systematisch aufzulegen, nachzukommen, bringen in der Reihe Ultramarin gesellschaftlich vertiefende Essay, die wir zur Diskussion stellen, eröffnen Europa die Tore zur Emotionalität, mit Europa erlesen und dem Geschmack Europas, legen Grundsteine durch die Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens und weiten unseren Wirkungskreis in die Theaterwelt (Culinaite L’Evrope im Burgtgeater) und in den Tourismus aus (die von mir mitbegründeten Tage der Alpen-Adria Küche in Klagenfurt/Celovec – das 3. Mal im September).Wir sind Gesamtkulturell mit neuen Ideen präsent, gerade eben auch mit Vorschlägen an For Forest, wie man kukturell und künstletisch den Wald im Stadion langfristig wirken lassen könnte…Das ist alles mit Arbeit, Kreativität und angehäuftem Wissen, aus Jahrzehnten, zwar – immer wieder – zu machen, aber es ist Präkariatentum und findet nicht jene Anerkennung, die über den Rand des Bettelns und verzweifelten Bittens hinaus geht. 

Schau dir nur die Zahlen der letzten 20 Jahre in den Bundesförderungen an – im Vergleich mit dem, was andere Verlage oft bei weniger Aktivitäten, bekommen.Ich frage mich: Gibt es da ein Gefälle –  Wasserkopf Wien versus Steppe Provinz? Dieses Mießverhältnis kommt zu allem anderen dazu und verstärkt das Gefühl der ungleichen Behandlung. (Ja, ja, ich höre sie, die Sprüche: Juryentscheidung u.v.a.m).

So, jetzt hast du einen kleinen Einblick und einen Versuch meinerseits, einer unvollständigen Antwort auf deine Frage bekommen. So schauts aus und Corona machts es nur sicht- und schmerzhaft spürbarer! 

Wie sagte es Maria Lassnig? „Mit der Kunst zusammen: da verkommt man nicht! Ohne Kunst verkommt man und ich besonders.“ Dem habe ich wahrlich nichts hinzuzufügen.

Kategorien
Allgemein

8. (Über)Leben in Zeiten wie diesen – mit Büchern. Sie sind „Beiseln+Wirte der Seele“. 14.5.2020

„Literatur ist Alchemie: Alltagsstoff verwandelt sich in Gold. Aber es ist Alchemie in Zeitlupe. Wie sie funktioniert, können Schriftsteller meist selbst nicht sagen (Literaturkritiker auch nicht)“, schreibt Martin Ebel am 11. Mai im Tagesanzeiger.

Die Literatur, die Musik, ja die Kunst verbindet dich mit etwas, was größer ist als du selbst. Diese Feststellung als Kompliment kam dieser Tage per Tweet: „Das literarische Leben geht unbeirrbar weiter … auch dank des Wieser Verlages und seiner Kreativen. Wie das Wasser findet es seinen – immer wieder neuen – Weg, alle Hindernisse umfließend, um im Meer seiner Bestimmung aufzugehen, schreibt uns Arnulf Spiess, ein alter Freund.

Und weil wir in einer Zeit leben, die mit der Bewältigung der aktuellen Pandemie uns nicht vergessen lassen darf, dass die geistige noch viel tiefer sitzt, finde ich mich an Diderot erinnert, der mit seinem enzyklopädischen Ansatz der Disharmonie und der kaleidoskopartigen Betrachtung die Breite der Vielfalt skizziert, die sowohl im Konsens als auch im Widerspruch zueinander den gesellschaftlichen Fortgang erst ermöglicht. Das ist in den heutigen Debatten, schnell hingesagten Vorwürfen und seichtem Getwitter, wie es scheint, zu oft verschollen.

Wie auch vergessen scheint, dass wir Anfang der Neunzigerjahre noch vieles ändern hätten können, da war die chauvinistisch-nationalistische Zerstörungswut noch nicht entbrannt; mit den Briefbomben begann es sich zu drehen und alle, ja alle Parteien öffneten ab da dem Populismus Tür und Tor, und dieser hielt, von Österreich ausgehend, Einzug im europäischen Diskurs, bis er diesen bestimmte. Wir müssen nicht weit schauen und erkennen seine Fratze in der Unterscheidung zwischen „in Österreich lebenden Menschen“ und „Österreicherinnen und Österreichern“, im Schließen der Augen vor der Not auf Lesbos und den Elendsquartieren, im menschenunwürdigen Umgang mit den ErntehelferInnen oder der unwürdigen Sonderzugaktion für Pflegerinnen. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.

Wir hielten mit unserer Verlagsarbeit konsequent dagegen, organisierten während des Krieges um Jugoslawien Unterstützungen für Autoren auf der Flucht, boten ihnen Exil und halfen ihnen zu überleben. Wir übersetzten systematisch Literatur aus Südosteuropa, dem Balkan und dem europäischen Osten, gründeten die „Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens“, um dem Manko an Wissen über diesen Raum entgegenzuwirken, und mit „Europa erlesen“ gaben wir Europa einen literarischen Begriff, indem wir europäischen Regionen und Städten literarische Visitenkarten ausstellten und der Emotion, dem Gefühl und dem Gesicht Worte und Verse gaben – allein in dieser Reihe in 230 Bänden.

Damals wie heute wussten wir: Es ist die Literatur, die unsere Ängste und Unsicherheiten eindämmt. Es ist die Literatur, die dir das Gefühl für die Zeit wieder gibt (siehe Antescriptum Wieser-Herbstkatalog).

Literatur ist geistige Nahrung, Literatur ist ein Grundnahrungsmittel, ohne das eine Gesellschaft zugrunde geht und verwelkt. Bücher sind Lebensmittel der Seele, von ihnen hängt das Gleichgewicht der Seele und die erfolgreiche Zukunft ab. Drum ist es nur recht, wenn diese „Beiseln+Wirte der Seele“ mit Büchergutscheinen für heimische Verlage, im Buchhandel einlösbar, wieder erweckt und belebt werden. Daher mein Vorschlag: Für Leser mit Tendenz zum Zweitbuch 25 €, für geübte und Mehrleser 50 €.

Kategorien
Allgemein

7. (Über)Leben in Zeiten wie diesen – durch „Europa erlesen“. 7. Mai 2020.

Was für eine schöne Ehre und Auszeichnung am Vortag zum 8. Mai!

Auch die EU-Kommission Wien nützt den vom Wieser Verlag erfundenen Namen „Europa erlesen“ für eigene Veranstaltungen.

Die 1997 im Wieser Verlag gegründete Reihe „Europa erlesen“ ist jetzt titelgebend für Lesungen, die die EU-Kommission in Wien im Zuge der Europa-Woche organisiert hat.

Ob es sich bis zur EU-Kommission in Wien durchgesprochen hat, dass in dieser Reihe bislang 230 Titel – zu Regionen und Städten faktisch aller Länder Europas und darüber hinaus – erschienen sind?

Wir werden es vielleicht gar nie erfahren …

In diesen Tagen der Selbstisolation führten mich die Gedanken zurück in die Zeit der Briefbomben und der Bewältigung der Angriffe auf den Verlag und mich als Person (1994–1997).

Angeschlagen suchte ich, allein geblieben, von vielen Weggefährten im Stich gelassen, verunglimpft und verleumdet, nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation.

Es geht ja noch immer um Literatur! – sprach ich mir Mut zu und ich war mir bewusst: Es wird ohne neue Wege, ohne zeitgemäße, moderne Mittel nicht gehen! Zeitgleich mit der Erfindung der Reihe „Europa erlesen“ bauten wir – mit neuen Verbündeten und neuen WegbegleiterInnen – auf die Anfang der Neunzigerjahre gemachten Erfahrungen mit dem Internet und begannen bewusst die neuen Möglichkeiten zu testen und zu entdecken.

Ich glaube, dass wir damit in der Buchbranche in Österreich unter den Pionieren waren. In der „Wayback Machine des Internet Archive“ kann man einen Blick auf die Fassung von 2000 werfen. Damals war Google noch neu, aber ich erinnere mich, wie sich allmählich „im Internet suchen“ zum schlichten „googeln“ wandelte und Google selbst zum Begriff wurde.

Wie schon erwähnt, arbeiteten wir im Verlag seit dem Frühjahr 1997 an der Idee einer neuen Reihe, die im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse das „Licht der Welt“ erblickte und die nicht einzelne AutorInnen, sondern eine europäische Region, eine europäische Stadt literarisch in Augenschein nimmt. Wir gaben Europa Hoffnung!

Damit und – ich wage es zu behaupten – darum (!) ist uns auch gelungen, aus „Europa erlesen“ ein geflügeltes Wort und in Folge „Europa erlesen“ zur Wort-Bild-Marke zu machen. Zu einem Begriff, an dem auch so manche gut dotierte Kommission nicht vorbeikommt und sich bedient …

Wir und Sie, werte Leserschaft und geschätzter Buchhandel, wissen schon lange von der Bedeutung von Kultur und Literatur und dem Wert der Reihe „Europa erlesen“ und freuen uns sehr, nehmen aber den offensichtlichen und stillschweigenden „Unsichtbaren Orden“ (Erhard Busek, siehe unten) zum Anlass, an vielen weiteren Bänden der Reihe zu arbeiten.

„Gestern wurde bei dem Verlagsfest in der Diplomatischen Akademie dem Wieser Verlag der „Unsichtbare Orden“ (Erhard Busek in der Einbegleitung) für seine Verdienste um Integration und Verständigung durch Kultur und Literatur verliehen. Österreich und Europa braucht solche Verlage und Verleger, die mit langem Atem durch Beharrlichkeit alle Höhen und Tiefen zu durchschreiten fähig sind.“ (17.5.2017)

Stand am Anfang Voltaires Satz „Europa kennen, Europa erkennen“, haben wir diesen weiterentwickelt: Wir wussten, wir werden Europa nur erkennen, wenn wir EUROPA ERLESEN und es erhören!

Kategorien
Allgemein

6. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. 28. April 2020

Wir leben in einer Zeit, die mit der Bewältigung der aktuellen Pandemie uns nicht vergessen lassen darf, dass die geistige noch viel tiefer sitzt und immer wieder in Wellen über uns kommt, mit Mechanismen des Vergessens und Verdrängens, die auch schon von der Menschheit Erreichtes sehenden Auges mitreißen, gewollt oder nicht.

Ich fühle mich zweigeteilt, gebremst und kontrolliert, diszipliniert und äußerlich ruhig, finde aber innerlich nicht die richtige Ruhe. Ich arbeite viel, doch weiß ich nicht, wohin es führt, versuche der Kulturpolitik zu folgen und die handelnden Personen in Land und Bund zu überzeugen und auf die Gefahren hinzuweisen, in denen alle Kultursparten zunehmend versinken. Es erschöpft, die vielen Ankündigungen und die Reden von raschen Maßnahmen und dass „niemand zurückgelassen werden soll“ bedrängen die tagtägliche Selbstmotivation. Hinzu kommt, dass die Banken nicht gerade vor Umsetzungswillen sprühen und dass Worte der Politik mit den Taten der Banker nicht unbedingt korrelieren. Oder umgekehrt.

So schreibe ich in diesen Tagen, denke, telefoniere, koche, redimensioniere die Kräuterschnecke; am wenigsten noch gelingt das Lesen; zu vieles rauscht und lenkt ab …

Eine gute Ablenkung war die Arbeit an einem großen Interview für die Wochenendbeilage der slowenischen Wochenzeitung Delo, das vor einer Woche erschien und großes Echo hervorrief. Quer durchs Land, vom ehemaligen Ministerpräsidenten bis zum einfachen Lagerarbeiter, kamen zustimmende Anmerkungen, insbesondere zu den klaren Darlegungen zu Peter Handke durch meine Zurückweisung der unqualifizierten Anschwärzungen.

Was auffällt: Ein Leben, in dem die Zukunft so generell unklar, wo das Reisen und die freie Bewegung so reglementiert ist – und das nach meist nachvollziehbaren Kriterien –, ist wie ein Achter im Fahrrad: man kommt zwar irgendwie voran, aber wie bei einer permanenten Schlaglochtour. Was wäre es erst, wenn die Maßnahmen autoritär, reaktionär und diktatorisch wären, wie im Faschismus?

Und: es fällt auf und offenbart sich, wie seicht und oberflächlich der Lebenstiefgang und das Gehabe verschiedenster Akteure ist. Es desillusioniert. Vor allem, wenn es um die wirklichen Fragen der Zukunft geht. Die Blendung ist zwar angezählt, umso deutlicher sieht man, wie die hohlen Sätze daherplätschern …

Der Herbst wirft seine Schatten voraus. Die Arbeiten am Herbstprogramm sind bei Drava und bei Wieser voll im Gange. Ist das verzweifelter Mut, der uns treibt? „Ist die Kuh durch die Öffnung der Buchhandlungen wirklich vom Eis“, wie sich Tim Jung von Hoffman & Campe fragt? Und werden die Frühjahrsbücher zu ihrer Leserschaft finden, noch bevor die Herbsttitel das Licht der Welt erblicken, oder werden sie nur gemeinsam ein erneutes Aufbäumen wagen müssen, in der Hoffnung, nicht wieder allein gelassen zu werden, nicht wieder auf die Nase zu fallen? Wenn die Ankündigung des Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser, die Jahresförderung sofort auszahlen zu wollen, als Schwalbe des Frühjahrs verstanden werden kann, die vom Süden fliegend auch in Wien gesehen, gehört und verstanden wird, könnte es vielleicht gelingen.

Ich habe soeben – als Selbstbeschwörung? – für den Herbstkatalog im Antescriptum geschrieben: „Es lebe das Buch!“ Ich habe mich entschieden und vertraue der spanischen Schriftstellerin Irene Vallejo, die sagt: „Bücher sind unsere Verbündeten.“

So soll es sein, so wird es (hoffentlich) sein – auch dank Erika, Matei, Josef, Jasna, Thomas, Dietmar, David, Selina, Dunja …, die aus den erzählenden Sätzen und Versen der Autorinnen und Autoren, der Übersetzerinnen und Übersetzer, schöne, haptische und aufmunternde, nachdenkliche, befreiende Bücher machen, auf die wir uns stützen.

In Erinnerung an Raimund Fellinger, der am 25. April verstarb. Uns verband eine jahrzehntelange Freundschaft. Reise gut, mein Freund!

„Zu schweigen erstarre ich auch stets, wenn man mir Vorwürfe macht, anscheinend bin ich prädestiniert, solche auf mich zu ziehen“, schreibt Raimund Fellinger im März 2011 in einem Mail.


Im Magazin der Süddeutschen stellte er fest: „Selbstzweifel sind immer gut. Man nutzt doch Literatur, um sich als Leser in Frage zu stellen. Wer im Umgang mit der Literatur keine Ironie gelernt hat, dem ist im Leben nicht mehr zu helfen.“ (SZ, 22.2.2016)

Kategorien
Allgemein

5.(Über)Leben in Zeiten wie diesen. 13. April 2020

Der Ostermontag – Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. Es ist die Literatur, die unsere Ängste und Unsicherheiten eindämmt. Es ist die Literatur, die dir das Gefühl für die Zeit wieder gibt. Sie verwandelt Stunden in Minuten und Minuten in Tage. Die dir das Leben in eine Erzählung wandelt. Die dich klüger macht, fluider, charismatischer. Die dich an die Zukunft erinnert. Die dich solidarisiert, sensibilisiert, kristallisiert und sie erleichtert dir die Sprünge ins Unbekannte. Sie ermöglicht dir die Überwindung von Widersprüchen und vom Paradoxen. Sie entflammt das Feuer in dir und revolutioniert dich. Die Literatur kommt Großteils – außer im ebook – zwischen Buchdeckeln daher. Die Literatur macht offen, sie weckt auf und sie macht frei. Wenn du ließt, hast du das Gefühl, mit dir ließt die ganze Welt. Literatur ist Solitär und Solidär. Einsam um Gemeinsam. „Bücher sind unsere Verbündeten“, sagt die spanische Schriftstellerin Irena Vallejo. Sie seien unsere Verbündeten zum Erhalt dessen, was uns am Wertvollsten ist. In Zeiten  der Unruhe und Zeiten der Ängste kann Lesen das Instrumentarium zur Erneuerung der Zukunft werden, denn sie seien die Hüter des Wissens. „Späteren Generationen haben sie das Wissen, die Entwicklung und die Visionen vergangener Zivilisationen erhalten“. Und, sie sind empfindlich.


Vielfach ist heute wieder zu lesen, nach der Krise wird es so sein, wie es war, nur schlimmer. Die Einen setzen aufs Gewohnte und auf Tradition, die Anderen auf kluges Zerreden jeglicher Veränderungsmöglichkeit. Ob es die Auferstehung eines undeffinierbaren Brauchtums ist oder doch eher die Rückgewinnung des Einfachen, das kompliziert zu machen ist, wie wir an allen sich in der Krise auftretenden Fragen studieren können, an dieser Reibung wird man die Weichen stellen, um letztendlich die Zukunft zu erkennen. Daher macht es sehrwohl Sinn,  heute und hier, die Grundsatzfragen zu benennen und an der Verschiebung des Gewichts der Beurteilung und der gesellschaftlichen Prioritäten zu wirken. 


Brüchig geworden ist – und sichtbar – dass in Österreich verschiedene Menschen, nicht nur „Österreicherinnen und Österreicher“, leben und ihnen die  Würde nicht mehr weiterhin streitig gemacht werden kann. Gezeigt hat es sich, dass pandemische Entwicklungen nur beizukommen ist, wenn man die erforderlichen Maßnahmen in den wichtigsten Sprachen und auf Augenhöhe mit den hier lebenden Menschen kommuniziert. Dass es geht und wie es geht, haben das Gesundheits- und das Justizministerium unaufgeregt und rasch gezeigt, wollten sie sich und ihre eigenen Maßnahmen nicht zunichte machen und das unkontrollierte Wachstum verhindern. Sogar den Gewerkschaften gelang das Kunststück, für alle Arbeitenden einzutreten und die über Jahrzehnten liebgewordene Haltung , nach der die „Österreicher zuerst“ vor den anderen zu bedienen seien, hintan zu stellen.  


Das Prinzip der deutschen Sprache, mit dem die in Österreich lebenden Menschen nunmehr seit (zweieinhalb) Jahrzehnten in immer penetranterer Form gegeißelt wurden hat sich in Zeiten wie diesen als unwirksam erwiesen. Offensichtlich wurde nur das Versäumnis, dass den hergekommenen Menschen nicht schon in diesen Jahrzehnten, während der Arbeitszeit, die Kenntnisse der deutschen Sprache beigebracht wurde. Die eigene wurde ihnen verstümmelt, die hiesige nicht beigebracht. Herausgekommen sind Menschen, die an den Rand der Gesellschaft,  in ‚Chinatowns‘ abgeschoben und zum Verstummen im öffentlichen Raum gezwungen wurden, ohne aktiven und passiven Wahlrecht, ohne Würde und Achtung, zu Sündenböcken gestempelt, denen man spitzfindig und phantasievoll die Grundrechte massiv zu beschneiden Begann. Erst der in der Krise offensichtlich gewordene Pflegenotstand oder der Erntehelferschwund führten die, diesen Menschen, angetane Ungerechtigkeit breiteren Schichten vor Augen und machte auf die bedeutende Rolle der Verachteten  aufmerksam. 


Wie gewaltig dieser Meinungsumschwung und wie tief er gesellschaftlich geht, ist wohl am deutlichsten an der erfreulichen Tatsache abzulesen,  dass die auflagenstärkste Tageszeitung im Lande, die Kronenzeitung, ein Titelblatt in 21 Sprachen gestaltet. Einem Wunder gleich spiegelt sich darin der Umbruch wieder, war doch diese Zeitung Jahrzehnte der mediale Wegbereiter des sich verbreitenden Ausländerhasses und zeigt uns diese Tatsache nur noch eindringlicher, welchen Schaden man vom Land frühzeitig abgehalten hätte,  wenn man in den vergangenen Jahrzehnten,  spätestens seit der Briefbomben-Serie der Neunziger, in allen Print-Medien Zusammenfassungen der Artikel in den wichtigsten Sprachen der hergekommenen Menschen gedruckt und in den Sendern zumindest die Nachrichtensendungen in diesen Sprachen untertitel hätte. Aber hier wurde in unbelehrbarer Form fortgesetzt, was sich als Assimilationswerkzeug gegenüber den ‚autochtonen‘ Minderheiten scheinbar bewährt hat und man glaubte wohl, damit der Welt im Umbruch am Beginn des 21. Jahrhunderts ebenso gewachsen zu sein. Spätestens die ‚Ortstafellösung‘ vor zehn Jahren in Kärnten hätte zu einer Meinungsänderung führen können, denn daran hätten sensiblere Politiker schon ablesen können, dass die Menschen weiter sind, als die Politik. In der jüngeren Zeitgeschichte war das zuletzt die Atomstromabstimmung zu Zwentendorf und die Minderheitenfeststellung Mitte der Siebziger – und zeigt uns die Wichtigkeit der Einflußnahme auf die laufenden Prozesse durch Meinungsbildung, Sprache, Übersetzung im Allgemeinen. All dies stärkt das Immunsystem, wehrt Krankheiten ab, verzögert die Ansteckung und die Erkrankung.


Bücher und Literatur sind Lebensmittel, sind Arznei, sind Wellness  und Sommerfrische der Seele. Die Poesie ist die Melodie.

Vlado Kreslin (von mir ins Deutsche übertragen)

q

Kategorien
Allgemein

4. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. „Die Glocken fliegen nach Rom…“ 9.April 2020

Beim Lesen von Josef Winklers Gespräch mit Uschi Loigge in der Kleinen Zeitung vor wenigen Tagen, erzählt Winkler auch von den Glocken, die zu Ostern nach Rom fliegen würden. Das führte mich in meine frühe Kindheit, wo Glocken und Ratschen eine Rolle spielten.


Der Dorfpfarrer Brumnik – die Göttin hab ihn selig -, seines Zeichens ein Bulldozer,  der mit der missionarischen Wucht und Aggression jeden und alles niedermachte, warb vor der Osterwoche um Ministranten und durchbohrte jeden mit seinen hervorquellenden, stechenden Augen, baute sich vor mir auf und zeigte mit dem Finger auf mich: Ti! Du! Eingeschüchtert, von unten nach oben schauend, den Kopf zwischen die Schulter, die Igelfrisur aus „Haaren wie Schweinsborsten“ (Stric/Onkel Hugo) stellte sich wie ein Abwehrschild auf und trieb mir die Tränen in die Augen. Ich werde kein Ministrant! Nur einmal breitere sich dieser Wunsch in mir aus, als Möglichkeit von zuhause wegzukommen und wurde ob der damit verbundenen disziplinierenden Rituale dem stärkeren Willen nach dem „Selber-Sein“ rasch wieder verwofen; wurde nicht geopfert, im Opferlamm ist der Willen nach Unterwerfung verborgen.


Ich wurde kein Ministrant, ich liebte es, mit meinem Volksschulfreund M. am Sonntag außerhalb der Kirche – bei den wenigenmalen des sonntäglichen Messebesuches – im Gras, außerhalb, in Hörweite der Messzeremonie, im Inneren des Presbysteriums, zu liegen und mir die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, streng bis gehässig von den – auch nicht die Messe besuchenden, scheinheilig frömmelnden Moralaposteln, die die Messe schwänzten und wichtigtuerisch bei den Familiengräbern vorbeischauten – angefaucht oder „Das tut man doch nicht!“ mir sagen zu lassen. 

In den Tagen, auf Ostern zugehend, erzählte uns Pfarrer Brumnik, dass die Glocken nun zu Ostern „nach Rom fliegen“ und sich der dumpfe Klang des Glockentriangels – der den in seiner Nähe sich Aufhaltenden das Gehör nahm und noch kilometerweit die Erde erschütterte und das zarte Grün der sprießenden Birken, Hainbuchen, Brombeer- und Himbeerblätter, der Ribiselsträuche und der gerade in die Fenstertröge gestellten Hängenelken erzittern lies, die freilaufenden Hühner erschreckte und dem Hahn, trotz angesträngtem Kikerikien, jegliche Autorität nahm – nun in ein Ratschen, wie bei alten Weibern, verwandeln werde, und – wie der sterbende Šumi-Onkel  ächzend, stöhnend – ihre Botschaften darboten. Als ich diese Erzählung von den „nach Rom fliegenden“ Glocken hörte,  schaute ich mit großen, neugierigen Augen. Den Pfarrer anstarrend raste die Phantasie, alles um mich herum vergessend, bis mich eine Kopfnuß, seine beliebteste Form der Aufmerksamkeiterheischung, brennend-schmerzlich in die Gegenwart zurück brachte und jäh das mit den Glocken Mitfliegen unterbrach. 

Nach der Religionsstunde machte ich mich auf, den Kirchturm zu beobachten, zu schauen, ob die da hoch oben mit einem Verschlag halb verschlossenen Fenster denn durchbrochen wären, geöffnet worden seien, um den Flug der großen und der beiden kleinen Glocken nicht zu behindern. Was ich nach einiger Zeit vernahm, war einzig das Knarren der Tram und der Balken, der Schindel und der Seile, die die Glocken festzurrten. Es hörte sich an, als hätte das Gebälk langsam, aber stetig das Dasein satt und sich zur Flucht aufmachen würde oder, um in sich zusamnenzufallen, übereinander zu werfen und für immer zu einer Ruine zu werden. 


Zuhause angekommen, Umwege über Felder nehmend, die ersten Wiesenblüten streichend, fragte die Mama sorgenvoll, was denn geschehen wäre, sie habe sich schon Gedanken gemacht und meinte dann, als ich ihr meine Enttäuschung und Verwunderungen über die ‚fliehgenden Glocken, die ratschen“ erzählte, dass sich wohl auch Glocken ausruhen müssen – von ihrem vielen Künden. Es beruhigte mich ein wenig, aber mich, den den Achtjährigen, lies es im Zweifel.

Im dreißigsten Jahr

Kategorien
Allgemein

3.(Über)Leben in Zeiten wie diesen. 27.3.2020

Um das Buch als Kulturgut ist es schlecht bestellt. Die oft zitierte Floskel, die „Krise als Chance“ zu begreifen, greift nicht so recht. Liessmann stellt dazu in der Kleinen Zeitung heute, am 27.3.2020, fest: „Von solchen Krisen die große Läuterung zu erwarten und im Virus einen geheimen Kombattanten im Kampf um die bessere Welt zu sehen, ist eine eigenartige Mischung aus geschichtsphilosophischem Zynismus und romantischer Utopie.“

Wenn Die Zeit meine Verlegerkolleg_innen in Deutschland zum derzeitigen Zustand befragt, liest man – trotz z. T. noch vorhandenem Optimismus und mehr zwischen den Zeilen als offen vorgetragen – von den Sorgen der Branche, vor allem über die angeblich rettende Kraft des Online-Handels.

Das Kulturgut Buch läuft Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Es wird mehr zu tun sein, als die – zweifellos notwendigen und dringenden – Not-Soforthilfen oder Spendenaktionen unter dem austauschbaren und abgewandelten Titel: „Buch in Not“.

Wir wollen das Hoffen wagen! Von zuhause, in Kurzarbeit, erfüllt von Sorge, wie es mit den Büchern weitergeht, ob die Vertriebswege Auswege finden werden, wie sich die Hektik in den Podcasts und den sozialen Medien auf die innere Ruhe und die Perspektive des Seins auswirken wird; wir werden vor Aufgaben gestellt, die neue, bisher nicht geforderte Lösungen brauchen. Wir sehen allzu oft hektisches Fuchteln, um die eigene Angst zu verscheuchen, aber kaum noch einen rechten Durchblick. Jedenfalls ist es eine Zeit der Unsicherheit, die anhalten wird und die uns Besonnenheit abverlangt.

Literatur ahnt Unvorhergesehenes, beschreibt und benennt es und öffnet Türen der Phantasie. Literatur lenkt den Blick in alle Horizonte, gibt Hoffnung und birgt in sich Millionen Wege, Stege, Steige zu uns selbst und den in uns verborgenen Hoffnungen, sie nimmt Angst und zeichnet in der Weite das Friedliche, das Gemeinsame.

Sie ist ohne Ideologie und deswegen so schwer zu verstehen, weil sie die intimste solitäre Gemeinsamkeit ist, die aktiv gelebt werden muss, und die Urform des Demokratischen.

Das zu verstehen, es zu leben nach Jahrhunderten der ideologischen Modellierung, ist die wahre Herausforderung, die uns gerade vor Augen geführt wird: SOLITÄR UND SOLIDÄR zu sein.

Noch einige Notate:

22.3.

Die ersten Nachrichten knapp vor 7.00 Uhr: Erdbeben erschüttert Teile von Slowenien, Zagreb, Westgriechenland. Karten, die das Epizentrum mit den ausstrahlenden Armen zeigen, hinterlassen Spuren. Reliefbilder der Gegend werden auf einmal anders betrachtet. Wo sind Berge, welche Einschnitte, Täler durchfurchen das Land, wo verlaufen die bisher kaum beachteten Bruchlinien, wie haben sich in der Vergangenheit geologische Verschiebungen ausgewirkt. Das Erdbeben von Ljubljana 1884, über das Katarina Marinčič in ihrem slowenischen Erstling Tereza schreibt – 1989 in unserem Verlag erschienen –, kommt mir in den Sinn, der Dobratschabsturz 1348 und die Pestepidemie in Friaul und Kärnten, die Heuschreckeneinfälle von damals drängen sich auf. Werden Verschwörungstheorien, Gottes-Strafe-Thesen – Schönborn nahe dran – die heutige Corona-Zeit begleiten?

21.3.

Die Tage, die wir verbringen, gleichen „der Fahrt über das Meer mit ihrer Einsamkeit, mit ihren Stürmen“ (Thomas Knubben, in: Hölderlin. Eine Winterreise).

21.3.

Meine Frau befindet sich im Zweikampf mit der Singer Nähmaschine und hadert mit dem synthetischen Zwirn, weil sie die kargen letzten Meter des nicht mehr produzierten Baumwollzwirns für spätere Zeiten hortet. Wer wen bezwingen wird, ist zur Stunde noch ungewiss.

20.3.

„Lern im Leben die Kunst, im Kunstwerk lerne das Leben! / Siehst du das eine recht, siehst du das andere auch.“

„Was wäre das Leben ohne Hoffnung!“

Hölderlin zum 250. Geburtstag

23.3.

Auch wenn aus gegebenem Anlass Culinaire L’Evrope am 19. April im Kasino des Burgtheaters ausfällt, möchten wir euch alle mit zwei Frühjahrsrezepten bzw. Osterrezepten aus Epirus im Norden Griechenlands verwöhnen. Löwenzahn bzw. der Röhrl sprießt in euren Gärten. Nutzt die Kraft der Natur und macht den häuslichen Speiseplan gesund abwechslungsreich.

Wir vom Wieser Verlag und dem Drava Verlag wünschen euch: Gesundheit, Liebe und Poesie! Passt auf euch auf, bleibt zu Hause!

Nachtrag 27.3.: Lest im Falter das Interview mit Burgtheater-Direktor Martin Kušej!

22.3.

Ach Europa! Wenn man selbst in Not ist, sollten Andere in Not nicht vergessen werden. Finden wir Lösungen für unsere gestrandeten Mitmenschen. Wie heißt schon die Hymne Europas? „Alle Menschen werden Brüder?“ – und Schwestern. Wirklich? Hoffnung besteht…„Die  Theorie  von  Enrico Quarantelli  besagt:  Je  schlechter  die  Situation,  desto besser  die Menschen.  Quarantelli  (1924–2017)  war  kein  Utopist,  sondern Katastrophensoziologe. Erst nachdem er  einige Katastrophen  untersucht  und  in  den  Reaktionen  ein  wiederkehrendes Muster  festgestellt  hatte,  zog  er  seine  Schlüsse:  Katastrophale Ereignisse führen  die Menschen  zusammen,  sie  hobeln  die  Oberflächlichkeit  weg  und  legen  die  Fähigkeit  zur  Solidarität  frei.  Die  Voraussetzung  dafür  ist  natürlich  zu  begreifen,  dass  ein  Ereignis  eine  Katastrophe  ist.“ (Karen Krüger, Die Mitbewohner. geschickt v Heinz Grötschnig)

19.3.

Reise zu Hause!

Mit Europa Erlesen und Geschmack Europas der entstandenen Enge entfliehn, die Nähe finden, das Abenteuer beginnen, sich in Versen verlieren, auf Wellen schwimmen, Rijeka besuchen, herzhaft lachen oder einfach sinnieren.

Sich stärken.

In Zeiten wie diesen lassen wir uns die Weite nicht nehmen.

Durchs Lesen zusammenrücken.

Literatur lässt uns nicht allein.

Gemeinsam das Hoffen wagen.

Die Wiesers wünschen Euch:
Gesundheit, Liebe, Poesie!

Wir lesen weiter!

Unser aktueller Newsletter

Kategorien
Allgemein

2.(Über)Leben in Zeiten wie diesen.

18.3.2020 (drei Tage nach den Iden des März)

Corona hat ungewollt den Finger auf das Wesentliche gelegt. Ohne grenzüberschreitende Hilfe geht es nicht, oder es wird alles schwer bewältigbar. Ohne gegenseitige Hilfe bleibt man in Zeiten wie diesen unbeholfen zurück. Nur klare, sachbezogene, nüchterne, abgestimmte Information wird geschätzt und die einige Zeit aus den Augen verlorene Gemeinsamkeit wird wieder großgeschrieben. Immer mehr Menschen entdecken wieder solidarisches Verhalten.

Die Blender werden aufgedeckt, die parteipolitischen Interessen bloßgestellt, die Vertuscher bleiben blass und wirken unbeholfen und die – hochgebildeten, promovierten – Frühstücks-Politiker führen sich selber vor und liefern den Beweis ihrer Unbrauchbarkeit – siehe Tirols Landeshauptmann und seinen Gesundheitslandesrat. Die NLP-Geschulten werden mit ihrer immer gleichen Choreographie ihrer Hände zu Luftfuchtlern – in Anbetracht der Ruhe, Sachlichkeit und Argumentationsstärke anderer. Man sieht sehr schnell: Hektisches Fuchteln kann die Grundprobleme nicht in den Griff bekommen. Gemeinsames Tun bewegt und hilft sich und anderen.

In diesen wenigen Tagen hat sich nicht nur das Land verändert, in diesen wenigen Tagen hat sich auch Spreu vom Weizen zu trennen begonnen. Einige haben schnell gelernt, andere machen sich selber überflüssig. Darin kann man, wenn man schon vom Reinigungsprozess der Krise spricht, positive Impulse für die Zukunft ablesen, nicht aber im zynischen und verachtenden Wiederaufwärmen längst von der Geschichte widerlegter Thesen eines Schumpeter und der Wiedererweckung jener eines Hayek, der in 1930ern die Massenarbeitslosigkeit für notwendiges, regulierendes Übel hielt und das „Nichts tun, die Märkte regeln das schon“ anpries und den Populismus groß werden ließ. In der „Süddeutschen“ stellt Joachim Käppner gestern, am 17.3., in seinem Kommentar „Die Corona-Krise entzaubert die Populisten“ zur Lage in den USA und zur Corona-Krise zu Recht fest:

„Vielleicht aber triumphiert der Populismus erneut – dann nämlich, wenn die Demokratien die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht abfedern. Diese Folgen treffen Ärmere, Geringverdiener, sozial Schwächere, Alleinerziehende zuerst; sie alle werden am dringendsten Hilfe benötigen.“

Und meint abschließend:

„Hier bildet sich eine neue soziale Frage heraus, auf welche die Politik bald schon Antworten wird finden müssen. Elend und Massenarbeitslosigkeit wären ein idealer Nährboden für die Verheißungen des Rechtspopulismus. Die Welt der Demokratien sollte diesen Gegner nicht noch einmal unterschätzen.“

Die heute und in den letzten Tagen von der Regierung vorgeschlagenen Programme scheinen die erwähnten Gefahren zu ahnen und zu berücksichtigen. Wenn dabei auch im Auge behalten wird, dass gerade die Klein- und Mittelbetriebe, dass die zahllosen einzelnen Akteure und Repräsentant*innen – von Film, Schauspiel, Regie, Produktion, Gesang … bis zu den Autor*innen, Verleger*innen, Übersetzer*innen, Lektor*innen, Buchhandlungen bis hin zu den Berichterstatter*innen in Print-Medien und bei Funk und Fernsehen … und – die die vielfältige Kultur des Lebens repräsentieren, dass sie alle das unsichtbare Nervenkostüm der Gesellschaft sind und die Faszien, die diesen Körper am Leben erhalten. Es sind diese Menschen, die uns mit den Pfleger*innen, den Kassierer*innen, den Ärzt*innenteams und vielen anderen durch die Krise begleiten und uns aus dieser wieder herausführen werden. Sie sind es, die uns Hoffnung, Würde Achtung bieten, was wir auch an der neuen Art der Kommunikation in den Sprachen der bei uns und mit uns lebenden Menschen erfreut sehen. Diese Krise lässt den Anstand aufleben!

Viele von uns sind erstmals mit einer Lebenswirklichkeit konfrontiert, die sie, wenn überhaupt, nur aus Erzählungen unserer Eltern und Großeltern kennen. Wie oft wurde bei uns – vorwiegend in den Kindheitstagen – das Gespräch auf die unterschiedlichen Bedingungen des Überlebens, des Hungers und des Mangels bei Menschen in der Stadt und auf dem Land hingewiesen. Die einen mussten für alles und jedes zahlen, sie mussten es besorgen und wenn der Lebensmittelhandel zusammengebrochen ist, hatten sie nur auf die meist spärlichen Reserven in der Vorratskammer zurückgreifen können. Das reichte meist nur kurze Zeit und der knurrend Magen machte sich wohl immer lauter bemerkbar. Am Land gaben die Felder, die Wiesen und die Wälder Vorräte, die Speicher waren bei den Bauern und sogar bei den Keuschlern verhältnismäßig gut bestückt. Die Kunst, aus nichts noch was Schmackhaftes zu kochen, war noch allgegenwärtig und die Erfahrungen, wie mit Bedrohungen umzugehen ist, waren zeitnah und von den im Haushalt wohnenden wurden sie, ohne viel Worte, im Kochplan aufgenommen und serviert.

Heute kommen diese Gedanken verstärkt und es drängt einen, genauer auf die Erfahrungen unser Vorvorderen hinzusehen. Wie viele befragen wieder ihre Mütter nach Zubereitungsmethoden, oder greifen nach Kochbüchern, die darüber schreiben, wie aus Resteln gute Speisen entstehen.

Die Entschleunigung ist noch nicht angekommen. Ungläubig schaut man, was geschieht. Der Virus ist unsichtbar und wird von Tag zu Tag fast wie aus einer virtuellen Filmszene zur greifbaren Realität, und doch schenkt man ihm noch nicht, oder eher zähneknirschend, jene Aufmerksamkeit, die uns die Rot-Kreuz-Mitarbeiterin, der Gesundheitsminister, der Vizekanzler, der Kanzler und viele andere in ihren Bemühungen glaubhaft zu machen versuchen.

All diese Wirklichkeiten treten als unverstandene im Tagesverlauf in unsere chaotischen Versuche, das Leben zu organisieren. Ist man zu zweit, geht es noch leichter, wiewohl es auch zu einer Herausforderung werden kann – nebeneinander die Arbeit auf dem Wohnzimmertisch zu bestreiten, zu telefonieren, nachzudenken, zu schreiben. Wie anders und unvergleichlich herausfordernder wird das mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern.

Und irgendwann knurrt der Magen. Das Gasthaus, die Mensa, die Betriebsküche – sie alle sind zu. Die eingefrorenen Halbfertigspeisen sind bald aufgebraucht, die Vorräte im Kühlschrank bald verwelkt. Dort, wo eine Speis oder ein Keller noch weitere Vorräte bereithalten, beginnt die Frage nach der Zubereitung. Klopapier gegrillt oder flambiert ist jedenfalls eher eine trockene und unverdauliche Angelegenheit. Man muss selber kochen! Doch wie kommen heute die erforderlichen Dinge her? Es bilden sich Online-Initiativen, die helfen, die Lebensmittel, Arzneien und frisches Gemüse bringen. Innerhalb weniger Tage stehen Menschengruppen zueinander und unterstützen sich. Das freut, das bringt Hoffnung!

Und was kocht man mit dem, was vorhanden ist? Jetzt hat man die Zeit, putzt den Salat, schneidet die Zwiebel. Probiert Neues aus, wie ein vegetarisches Curry mit selbst zubereiteter Currypaste, nach dem „Mekong Food“-Buch von Michael Langoth (edition styria), und freut sich, dass es beim ersten Versuch gelingt.

Aber wie macht man ein Curry?

Die Herausforderung annehmen und alle Zutaten, soweit vorhanden, zusammentragen und beginnen: Zuerst zwei getrocknete Chilis in heißem Wasser einweichen. Ingwer, Zwiebel, 2 Knoblauchzehen klein hacken, im kleinen Mörser 2 Nelken, 1/2 TL Korianderkerne, ein wenig Kümmel und 1/2 TL schwarze Pfefferkörner mörsern und in den großen Mörser sieben, eine Messerspitze gemahlenen Zimt beifügen; gehackte Zwiebel, Ingwer und Knoblauch zu einer feinen Paste stampfen (man könnte es auch mit dem Zauberstab mixen, aber ich schwöre, den Unterschied merkt man), 1 EL Rohrzucker, einen guten Spritzer Tomatenmark, statt 2 TL Shrimps-Paste verwendete ich Shinjyo Miso-Paste aus getrocknetem Thunfisch, Sardinen, Makrelen, Sojabohnen, Seealgen; einen gehäuften EL gesalzene Erdnusspaste – in Ermangelung von Erdnussöl; zwei gepresste Galganttabletten aus der Hildegardapotheke, in Ermangelung von frischen Wurzeln. Alles fein gemörsert, mit einem starken Schuss Austernsauce verfeinert, und fertig war die Currypaste.

Paprikastücke einer Frucht werden mit gewürfelten Kartoffeln in Kocholivenöl angebraten, bis die Paprikahaut Farbe zu nehmen beginnt, und zur Seite gestellt.

In derselben Pfanne wird Kokosmilch (für zwei Personen reicht eine kleine Dose), in der zwei fein gehackte Limettenblätter baden und ihr Aroma abgeben, mit drei großen EL selbstgemachtem Curry aufgekocht. Jetzt kommen die angebratenen Paprikastücke und die Kartoffelwürfel dazu, zugleich Stücke von zwei mittleren Zucchini, drei getrocknete Champignons grob gehackt und eine kleine Faust gesalzener Cashewkerne oder Erdnüsse. Mit Chilipulver und Sojasauce, wenn gewünscht, abrunden und fertig ist das Ganze.

Der Basmatireis duftet nach Zwiebel, Nelken und Sehnsucht. Das Curry vermählt sich zu einem runden Geschmackserlebnis und verbreitet, in Zeiten wie diesen, Frohsinn, nicht nur auf der Zunge…

Reihe Europa Erlesen

Buch Im dreißigsten Jahr

Kategorien
Allgemein

(Über)-Leben in Zeiten, wie diesen.
Teil 1, 16.3.2020 (einen Tag nach den Iden des März)

Am 10. März notierte ich folgende Zeilen:
„Ab heute bleit nichts mehr, wie es war. L. ordnete sein Leben. Bei der Seitentür schleicht sich, ‚unter dem Mantel der Tod herein‘, wie der slowenische Schriftsteller France Bevk 1929 die Ereignisse um die Pest 1348 in Friaul und Kärnten und die Quarantäne, die über Udine/Videm u.a. Städte verhängt wurde in seinem Roman ‘Znamenja na nebu’ (Zeichen am Himmel) beschreibt. Draußen erfreut sich die Menscheit der wärmenden Sonnenstrahlen Draußen erfreut sich die Menscheit der wärmenden Sonnenstrahlen. Von der Terasse winkt die mögliche, sorgenfreiere Zukunft. Zwei, sein Leben vereinfachende Ereignisse haben sich heute, glaubhaft, angekündigt und er erwartet deren Eintreten mit wohlwollender Skepsis. Soeben hat er erstmals registriert, dass er zu der 3-5 % Mortalitätsrate zählt und schützenswert wäre. Virologen bekommen erstmals in seinem Leben eine beachtenswerte Rolle eingeräumt. Sätze, wie diese lösen ein Nachsinnen aus: „Sie“ – die über 65 Jährigen – „haben noch nicht verstanden, dass sie die wirklich Betroffenen sind und dass ihr Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss.“ („https://web.de/magazine/gesundheit/virologe-christian-drosten-coronavirus-maximum-faelle-juni-august-34501948)

Bis gestern meinte er, es wäre eine Böhe, die das Land nur streifen würde. Seine Tochter meinte im Morgentelefonat, sie käme sich zunehmend eingesperrt vor, soetwas habe sie noch nicht erlebt. Ja, auch er kann sich in den sechseibhalb Jahrzehnten an so eine Lebenssituation nicht erinnern. Er blättert in seiner Erinnerung: Vogelgrippe, Tier-Skandal, Ölkriese 1974, Schweinepest, Ebola – nichts, was ihn abgehalten hätte, zu reisen, sich zu bewegen, sich uneingeschränkt auf alles zu freuen. 


Er ist ab jetzt gefährdet. Vom Virus und von der Klaustrophobie, die ihm schon so manches Ereignis zunichte gemacht hat. Von daher hat er für die neu entstandene Situation gute Voraussetzungen, von der eingeschränkten öffentlichen  Präsenz zu profitieren.“ (Ende der Notiz)


In den vergangenen sechs Tagen hat sich alles, von Tag zu Tag mehr, in einem Tempo gesteigert, entblöst und offenbart, dass er sich, nun, diese kurze Zeitspanne überblickend, wundert, mit welcher Gelassenheit er heute, zuhause sitzend, lesend, schreibend, nachdenkend, dem Ganzen begegnet.
Heute hat er mit seiner Frau ein kleines Mittagsmenü gekocht. In den Tiefen der Speis und des Gefrierschrankes offenbaren sich wahrhaftige Überraschungen.

Gehamstert haben sie in den letzten Tagen nicht. Nicht einmal Klopapier. (Hier verfällt er in Gedanken und findet sich in der Kindheit: Die ersten Jahre, winters wie sommers, gingen sie noch zum Herzen-Klo im Freien, hinter der Hütte, zwischen Hollerstrauch, Kompost- und Misthaufen, um sich zu erleichtern. In einer Holzschachtel waren – in postkartengröße – Zeitungsabschnitte vorbereitet, die er meist einmal die Woche aus alten, ausgelesenen Zeitungen, nicht Illustrierten, mit einem scharfen Küchenmesser zu zuschneiden hatte. In Ermangelung seiner Lesefähigkeit damals, hat er, mit großer Neugierde die Karrikaturen, grob gerasterte Bilder – grau in grau, meist verstümmelt, da zerschnitten – betrachtet und machte sich zum Spiel und zur Gewohnheit, sich auszudenken, wer am Bild fehlen würde oder was von der Karrikatur verloren gegangen sei und zeichnete diese im Geiste weiter…)


Ein paar Kleinigkeiten haben sie sich vor Tagen am Biomarkt besorgt: Den ersten Löwenzahn und frischen Bärlauch, aus der Nähe von Dravograd hatte ihn angelacht. Der junge Bauer erzählt, dass er den Bärlauch bei sich, auf 700 Meter angebaut hat und garantieren könne, dass keine Maiglöckchenblätter dabei wären („Dass, was uns mit dem Virus bevorsteht, reicht für einige Zeit“, meint er). Den Löwenzahn haben sie gleich am Samstag, am ersten Tag, an dem sie sich zurückzuziehen begonnen haben, zu Salat gemacht.


LÖWENZAHNSALAT. Wasche den Löwenzahn, lass aber die Wurzelteile dabei, da hier gute Bitterstoffe konzentriert sind, die zur Regulierung des Gallensaftes gute Arbeit machen, schneide alles recht fein; koche Kartoffeln, schäle die gekochten und schneide sie warm zum fein geschnittenen Salat; mariniere diesen mit einer Emulsion aus Knoblauchwasser (zerdrücke drei, vier Zehen, laß sie im Wasser 15 Minuten ziehen und gib das Knoblauchwasser zu Öl, Essig, Salz, Pfeffer, ein wenig Senf, wenn du willst und vermenge alles mitsammen). Oben drauf kommen geviertelte  gekochte, warme Eier. Ein Hochgenuß und ein Frühlungsimpuls für den nach Vitaminen und Abwehrstoffen sich sehnenden Körper. Der Löwenzahn wirkt positiv auf Galle, das Immunsystem u.v.a.m. Siehe: http://heilpflanzenwissen.at/pflanzen/der-lowenzahn/


Aus dem Bärlauch kochten wir am Sonntag einerseits eine cremige Suppe und heute den Spiegel für die Faschierten Labalan/Leibchen, serviert mit Bratkartoffeln und gemischten Salat.


BÄRLAUCHSUPPE. Dünste eine fein geschnittene Zwiebel glasig, gib gehackten Bärlauch und gestampfte Erdäpfel dazu, lass es ein, zwei Minuten wellen, lösche mit Gemüsefond (oder Gemüsepulver ohne Glutamat in heißem Wasser aufgelöst) gib einen guten Schuß Rahm dazu und mixe alles mit dem Zauberstab, schmecke es ab und serviere die Suppe mit geröstetem Weißbrot.


BÄRLAUCH FÜR DEN SPIEGEL. Zwiebel und Bärlauch angedünstet, wie bei der Suppe, gib jedoch eine Messerspitze Anis und eine halbe Messerspitze gemahlenen Zimt dazu, (gibt eine geheimnisvolle Note, erhöht den Geschmack und stärkt Verdauung und Immunsystem). Eine zerdrückte, gekochte Kartoffel (war noch vom Vortag, vom Löwenzahnsalat übrig, bindet die Suppe). Mit Gemüsefond kurz aufkochen, mit einem viertel Liter Rahm eindicken und alles gut mixen. Die Creme als Spiegel zu den Bratkartoffeln und dem Faschierten reichen. Kartoffel vom Vortag eignen sich zum Anbraten in Butter oder Butterschmalz besser. Auch ist Butter oder Butterschmalz in diesem Fall aromatischer als Olivenöl oder ein anderes pflanzliche Öl.

Lässt man das Faschierte weg, bietet diese Kombination eine wunderbare vegetarische Hauptspeise!


FASCHIERTE LABALAN / LEIBCHEN. Der Gefrierschrank gab das wunderbare Biofaschierte vom Lamm heraus. Aufgetaut, mit drei alten Weißbrotschnitten, in Milch und verquirreltem Ei eingeweicht und mit dem Faschierten vermengt, mit einer guten Idee Tymian und mit etwas weniger Rosmarin, Salz und Pfeffer vermengt, wird das Fleisch mit aus Weißbrotresten selbst geriebenen Semmelbröseln gebunden, zu Labalan geformt und in Butterschnalz gebraten und serviert.


Als Nachspeise reichten wir je acht gedörrte Zwetschgen und drei Datteln. Beides Früchte, die das Immunsystem und den Stoffwechsel anregen. Gut, damit sich Giftstoffe nicht zu lange im Körper aufhalten. Der verdünnte Saft aus Kornellkirschen/Dirndeln gleicht durch seine feine süß-saure Anmutung den Appetit auf den Wein aus und wirkt zugleich magenfreundlich.


Als Lektüre liegt die kleine Geschichte von Tantadruj von Ciril Kosmač bereit. Eine berührende Geschichte über den mit vierzig Kuglocken behangenen jungen Mann, der, von seinen Freunden begleitet, das Glück sucht, den Tod als Erlösung anstrebt und bei beiden scheitert.„Diese, an der Grenze von Tragik und bizarrer Komik, von lyrischer Zuversicht und stillem Pathos erzählte Novelle, ein philosophisches Kunstmärchen“, schreibt Karl-Markus Gauß
https://www.wieser-verlag.com/buch/tantadruj/