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2.(Über)Leben in Zeiten wie diesen.

18.3.2020 (drei Tage nach den Iden des März)

Corona hat ungewollt den Finger auf das Wesentliche gelegt. Ohne grenzüberschreitende Hilfe geht es nicht, oder es wird alles schwer bewältigbar. Ohne gegenseitige Hilfe bleibt man in Zeiten wie diesen unbeholfen zurück. Nur klare, sachbezogene, nüchterne, abgestimmte Information wird geschätzt und die einige Zeit aus den Augen verlorene Gemeinsamkeit wird wieder großgeschrieben. Immer mehr Menschen entdecken wieder solidarisches Verhalten.

Die Blender werden aufgedeckt, die parteipolitischen Interessen bloßgestellt, die Vertuscher bleiben blass und wirken unbeholfen und die – hochgebildeten, promovierten – Frühstücks-Politiker führen sich selber vor und liefern den Beweis ihrer Unbrauchbarkeit – siehe Tirols Landeshauptmann und seinen Gesundheitslandesrat. Die NLP-Geschulten werden mit ihrer immer gleichen Choreographie ihrer Hände zu Luftfuchtlern – in Anbetracht der Ruhe, Sachlichkeit und Argumentationsstärke anderer. Man sieht sehr schnell: Hektisches Fuchteln kann die Grundprobleme nicht in den Griff bekommen. Gemeinsames Tun bewegt und hilft sich und anderen.

In diesen wenigen Tagen hat sich nicht nur das Land verändert, in diesen wenigen Tagen hat sich auch Spreu vom Weizen zu trennen begonnen. Einige haben schnell gelernt, andere machen sich selber überflüssig. Darin kann man, wenn man schon vom Reinigungsprozess der Krise spricht, positive Impulse für die Zukunft ablesen, nicht aber im zynischen und verachtenden Wiederaufwärmen längst von der Geschichte widerlegter Thesen eines Schumpeter und der Wiedererweckung jener eines Hayek, der in 1930ern die Massenarbeitslosigkeit für notwendiges, regulierendes Übel hielt und das „Nichts tun, die Märkte regeln das schon“ anpries und den Populismus groß werden ließ. In der „Süddeutschen“ stellt Joachim Käppner gestern, am 17.3., in seinem Kommentar „Die Corona-Krise entzaubert die Populisten“ zur Lage in den USA und zur Corona-Krise zu Recht fest:

„Vielleicht aber triumphiert der Populismus erneut – dann nämlich, wenn die Demokratien die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht abfedern. Diese Folgen treffen Ärmere, Geringverdiener, sozial Schwächere, Alleinerziehende zuerst; sie alle werden am dringendsten Hilfe benötigen.“

Und meint abschließend:

„Hier bildet sich eine neue soziale Frage heraus, auf welche die Politik bald schon Antworten wird finden müssen. Elend und Massenarbeitslosigkeit wären ein idealer Nährboden für die Verheißungen des Rechtspopulismus. Die Welt der Demokratien sollte diesen Gegner nicht noch einmal unterschätzen.“

Die heute und in den letzten Tagen von der Regierung vorgeschlagenen Programme scheinen die erwähnten Gefahren zu ahnen und zu berücksichtigen. Wenn dabei auch im Auge behalten wird, dass gerade die Klein- und Mittelbetriebe, dass die zahllosen einzelnen Akteure und Repräsentant*innen – von Film, Schauspiel, Regie, Produktion, Gesang … bis zu den Autor*innen, Verleger*innen, Übersetzer*innen, Lektor*innen, Buchhandlungen bis hin zu den Berichterstatter*innen in Print-Medien und bei Funk und Fernsehen … und – die die vielfältige Kultur des Lebens repräsentieren, dass sie alle das unsichtbare Nervenkostüm der Gesellschaft sind und die Faszien, die diesen Körper am Leben erhalten. Es sind diese Menschen, die uns mit den Pfleger*innen, den Kassierer*innen, den Ärzt*innenteams und vielen anderen durch die Krise begleiten und uns aus dieser wieder herausführen werden. Sie sind es, die uns Hoffnung, Würde Achtung bieten, was wir auch an der neuen Art der Kommunikation in den Sprachen der bei uns und mit uns lebenden Menschen erfreut sehen. Diese Krise lässt den Anstand aufleben!

Viele von uns sind erstmals mit einer Lebenswirklichkeit konfrontiert, die sie, wenn überhaupt, nur aus Erzählungen unserer Eltern und Großeltern kennen. Wie oft wurde bei uns – vorwiegend in den Kindheitstagen – das Gespräch auf die unterschiedlichen Bedingungen des Überlebens, des Hungers und des Mangels bei Menschen in der Stadt und auf dem Land hingewiesen. Die einen mussten für alles und jedes zahlen, sie mussten es besorgen und wenn der Lebensmittelhandel zusammengebrochen ist, hatten sie nur auf die meist spärlichen Reserven in der Vorratskammer zurückgreifen können. Das reichte meist nur kurze Zeit und der knurrend Magen machte sich wohl immer lauter bemerkbar. Am Land gaben die Felder, die Wiesen und die Wälder Vorräte, die Speicher waren bei den Bauern und sogar bei den Keuschlern verhältnismäßig gut bestückt. Die Kunst, aus nichts noch was Schmackhaftes zu kochen, war noch allgegenwärtig und die Erfahrungen, wie mit Bedrohungen umzugehen ist, waren zeitnah und von den im Haushalt wohnenden wurden sie, ohne viel Worte, im Kochplan aufgenommen und serviert.

Heute kommen diese Gedanken verstärkt und es drängt einen, genauer auf die Erfahrungen unser Vorvorderen hinzusehen. Wie viele befragen wieder ihre Mütter nach Zubereitungsmethoden, oder greifen nach Kochbüchern, die darüber schreiben, wie aus Resteln gute Speisen entstehen.

Die Entschleunigung ist noch nicht angekommen. Ungläubig schaut man, was geschieht. Der Virus ist unsichtbar und wird von Tag zu Tag fast wie aus einer virtuellen Filmszene zur greifbaren Realität, und doch schenkt man ihm noch nicht, oder eher zähneknirschend, jene Aufmerksamkeit, die uns die Rot-Kreuz-Mitarbeiterin, der Gesundheitsminister, der Vizekanzler, der Kanzler und viele andere in ihren Bemühungen glaubhaft zu machen versuchen.

All diese Wirklichkeiten treten als unverstandene im Tagesverlauf in unsere chaotischen Versuche, das Leben zu organisieren. Ist man zu zweit, geht es noch leichter, wiewohl es auch zu einer Herausforderung werden kann – nebeneinander die Arbeit auf dem Wohnzimmertisch zu bestreiten, zu telefonieren, nachzudenken, zu schreiben. Wie anders und unvergleichlich herausfordernder wird das mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern.

Und irgendwann knurrt der Magen. Das Gasthaus, die Mensa, die Betriebsküche – sie alle sind zu. Die eingefrorenen Halbfertigspeisen sind bald aufgebraucht, die Vorräte im Kühlschrank bald verwelkt. Dort, wo eine Speis oder ein Keller noch weitere Vorräte bereithalten, beginnt die Frage nach der Zubereitung. Klopapier gegrillt oder flambiert ist jedenfalls eher eine trockene und unverdauliche Angelegenheit. Man muss selber kochen! Doch wie kommen heute die erforderlichen Dinge her? Es bilden sich Online-Initiativen, die helfen, die Lebensmittel, Arzneien und frisches Gemüse bringen. Innerhalb weniger Tage stehen Menschengruppen zueinander und unterstützen sich. Das freut, das bringt Hoffnung!

Und was kocht man mit dem, was vorhanden ist? Jetzt hat man die Zeit, putzt den Salat, schneidet die Zwiebel. Probiert Neues aus, wie ein vegetarisches Curry mit selbst zubereiteter Currypaste, nach dem „Mekong Food“-Buch von Michael Langoth (edition styria), und freut sich, dass es beim ersten Versuch gelingt.

Aber wie macht man ein Curry?

Die Herausforderung annehmen und alle Zutaten, soweit vorhanden, zusammentragen und beginnen: Zuerst zwei getrocknete Chilis in heißem Wasser einweichen. Ingwer, Zwiebel, 2 Knoblauchzehen klein hacken, im kleinen Mörser 2 Nelken, 1/2 TL Korianderkerne, ein wenig Kümmel und 1/2 TL schwarze Pfefferkörner mörsern und in den großen Mörser sieben, eine Messerspitze gemahlenen Zimt beifügen; gehackte Zwiebel, Ingwer und Knoblauch zu einer feinen Paste stampfen (man könnte es auch mit dem Zauberstab mixen, aber ich schwöre, den Unterschied merkt man), 1 EL Rohrzucker, einen guten Spritzer Tomatenmark, statt 2 TL Shrimps-Paste verwendete ich Shinjyo Miso-Paste aus getrocknetem Thunfisch, Sardinen, Makrelen, Sojabohnen, Seealgen; einen gehäuften EL gesalzene Erdnusspaste – in Ermangelung von Erdnussöl; zwei gepresste Galganttabletten aus der Hildegardapotheke, in Ermangelung von frischen Wurzeln. Alles fein gemörsert, mit einem starken Schuss Austernsauce verfeinert, und fertig war die Currypaste.

Paprikastücke einer Frucht werden mit gewürfelten Kartoffeln in Kocholivenöl angebraten, bis die Paprikahaut Farbe zu nehmen beginnt, und zur Seite gestellt.

In derselben Pfanne wird Kokosmilch (für zwei Personen reicht eine kleine Dose), in der zwei fein gehackte Limettenblätter baden und ihr Aroma abgeben, mit drei großen EL selbstgemachtem Curry aufgekocht. Jetzt kommen die angebratenen Paprikastücke und die Kartoffelwürfel dazu, zugleich Stücke von zwei mittleren Zucchini, drei getrocknete Champignons grob gehackt und eine kleine Faust gesalzener Cashewkerne oder Erdnüsse. Mit Chilipulver und Sojasauce, wenn gewünscht, abrunden und fertig ist das Ganze.

Der Basmatireis duftet nach Zwiebel, Nelken und Sehnsucht. Das Curry vermählt sich zu einem runden Geschmackserlebnis und verbreitet, in Zeiten wie diesen, Frohsinn, nicht nur auf der Zunge…

Reihe Europa Erlesen

Buch Im dreißigsten Jahr

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