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5.(Über)Leben in Zeiten wie diesen. 13. April 2020

Der Ostermontag – Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. Es ist die Literatur, die unsere Ängste und Unsicherheiten eindämmt. Es ist die Literatur, die dir das Gefühl für die Zeit wieder gibt. Sie verwandelt Stunden in Minuten und Minuten in Tage. Die dir das Leben in eine Erzählung wandelt. Die dich klüger macht, fluider, charismatischer. Die dich an die Zukunft erinnert. Die dich solidarisiert, sensibilisiert, kristallisiert und sie erleichtert dir die Sprünge ins Unbekannte. Sie ermöglicht dir die Überwindung von Widersprüchen und vom Paradoxen. Sie entflammt das Feuer in dir und revolutioniert dich. Die Literatur kommt Großteils – außer im ebook – zwischen Buchdeckeln daher. Die Literatur macht offen, sie weckt auf und sie macht frei. Wenn du ließt, hast du das Gefühl, mit dir ließt die ganze Welt. Literatur ist Solitär und Solidär. Einsam um Gemeinsam. „Bücher sind unsere Verbündeten“, sagt die spanische Schriftstellerin Irena Vallejo. Sie seien unsere Verbündeten zum Erhalt dessen, was uns am Wertvollsten ist. In Zeiten  der Unruhe und Zeiten der Ängste kann Lesen das Instrumentarium zur Erneuerung der Zukunft werden, denn sie seien die Hüter des Wissens. „Späteren Generationen haben sie das Wissen, die Entwicklung und die Visionen vergangener Zivilisationen erhalten“. Und, sie sind empfindlich.


Vielfach ist heute wieder zu lesen, nach der Krise wird es so sein, wie es war, nur schlimmer. Die Einen setzen aufs Gewohnte und auf Tradition, die Anderen auf kluges Zerreden jeglicher Veränderungsmöglichkeit. Ob es die Auferstehung eines undeffinierbaren Brauchtums ist oder doch eher die Rückgewinnung des Einfachen, das kompliziert zu machen ist, wie wir an allen sich in der Krise auftretenden Fragen studieren können, an dieser Reibung wird man die Weichen stellen, um letztendlich die Zukunft zu erkennen. Daher macht es sehrwohl Sinn,  heute und hier, die Grundsatzfragen zu benennen und an der Verschiebung des Gewichts der Beurteilung und der gesellschaftlichen Prioritäten zu wirken. 


Brüchig geworden ist – und sichtbar – dass in Österreich verschiedene Menschen, nicht nur „Österreicherinnen und Österreicher“, leben und ihnen die  Würde nicht mehr weiterhin streitig gemacht werden kann. Gezeigt hat es sich, dass pandemische Entwicklungen nur beizukommen ist, wenn man die erforderlichen Maßnahmen in den wichtigsten Sprachen und auf Augenhöhe mit den hier lebenden Menschen kommuniziert. Dass es geht und wie es geht, haben das Gesundheits- und das Justizministerium unaufgeregt und rasch gezeigt, wollten sie sich und ihre eigenen Maßnahmen nicht zunichte machen und das unkontrollierte Wachstum verhindern. Sogar den Gewerkschaften gelang das Kunststück, für alle Arbeitenden einzutreten und die über Jahrzehnten liebgewordene Haltung , nach der die „Österreicher zuerst“ vor den anderen zu bedienen seien, hintan zu stellen.  


Das Prinzip der deutschen Sprache, mit dem die in Österreich lebenden Menschen nunmehr seit (zweieinhalb) Jahrzehnten in immer penetranterer Form gegeißelt wurden hat sich in Zeiten wie diesen als unwirksam erwiesen. Offensichtlich wurde nur das Versäumnis, dass den hergekommenen Menschen nicht schon in diesen Jahrzehnten, während der Arbeitszeit, die Kenntnisse der deutschen Sprache beigebracht wurde. Die eigene wurde ihnen verstümmelt, die hiesige nicht beigebracht. Herausgekommen sind Menschen, die an den Rand der Gesellschaft,  in ‚Chinatowns‘ abgeschoben und zum Verstummen im öffentlichen Raum gezwungen wurden, ohne aktiven und passiven Wahlrecht, ohne Würde und Achtung, zu Sündenböcken gestempelt, denen man spitzfindig und phantasievoll die Grundrechte massiv zu beschneiden Begann. Erst der in der Krise offensichtlich gewordene Pflegenotstand oder der Erntehelferschwund führten die, diesen Menschen, angetane Ungerechtigkeit breiteren Schichten vor Augen und machte auf die bedeutende Rolle der Verachteten  aufmerksam. 


Wie gewaltig dieser Meinungsumschwung und wie tief er gesellschaftlich geht, ist wohl am deutlichsten an der erfreulichen Tatsache abzulesen,  dass die auflagenstärkste Tageszeitung im Lande, die Kronenzeitung, ein Titelblatt in 21 Sprachen gestaltet. Einem Wunder gleich spiegelt sich darin der Umbruch wieder, war doch diese Zeitung Jahrzehnte der mediale Wegbereiter des sich verbreitenden Ausländerhasses und zeigt uns diese Tatsache nur noch eindringlicher, welchen Schaden man vom Land frühzeitig abgehalten hätte,  wenn man in den vergangenen Jahrzehnten,  spätestens seit der Briefbomben-Serie der Neunziger, in allen Print-Medien Zusammenfassungen der Artikel in den wichtigsten Sprachen der hergekommenen Menschen gedruckt und in den Sendern zumindest die Nachrichtensendungen in diesen Sprachen untertitel hätte. Aber hier wurde in unbelehrbarer Form fortgesetzt, was sich als Assimilationswerkzeug gegenüber den ‚autochtonen‘ Minderheiten scheinbar bewährt hat und man glaubte wohl, damit der Welt im Umbruch am Beginn des 21. Jahrhunderts ebenso gewachsen zu sein. Spätestens die ‚Ortstafellösung‘ vor zehn Jahren in Kärnten hätte zu einer Meinungsänderung führen können, denn daran hätten sensiblere Politiker schon ablesen können, dass die Menschen weiter sind, als die Politik. In der jüngeren Zeitgeschichte war das zuletzt die Atomstromabstimmung zu Zwentendorf und die Minderheitenfeststellung Mitte der Siebziger – und zeigt uns die Wichtigkeit der Einflußnahme auf die laufenden Prozesse durch Meinungsbildung, Sprache, Übersetzung im Allgemeinen. All dies stärkt das Immunsystem, wehrt Krankheiten ab, verzögert die Ansteckung und die Erkrankung.


Bücher und Literatur sind Lebensmittel, sind Arznei, sind Wellness  und Sommerfrische der Seele. Die Poesie ist die Melodie.

Vlado Kreslin (von mir ins Deutsche übertragen)

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