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Auf der Suche nach den heimischen Sprachen oder Wieder einmal Ortstafeln. (Über)Leben in Zeiten wie diesen Nr. 13

Jeder, der sich heute über die unzeitgemäßen Streichung und Ausradierung der – eh ansich wenigen zweisprachigen Ortstafeln – berechtigt, aufregt, sollte sich zeitgleich auch fragen, was er dazu beigetragen hat, dass die Zweisprachigkeit seit der Ortstafellösung vor 10 Jahren im öffentlichen Raum auch gelebt wird.
Sind es nicht die Nachlässigkeiten, die den Boden für solche Aktionen bieten und zu seinem Hummus werden?


Die Medien werden sich die Frage gefallen lassen müssen, warum sie noch immer nicht – wenigstens – Zusammenfassungen auf Slowenisch und in den Sprachen der Hergekommenen bringen? Der ORF, warum er es bis heute zu keiner Untertitelungen in diesen Sprachen gebracht hat? Die Parteien, die so gern die Integration fordern und predigen, nicht einmal im Wahlkampf soviel – wenigstens wahlopportunstischen – Mut aufbringen, (wo es angeblich um jede Stimme geht), dass sie das Wenige, dass sie zu sagen haben, auch auf Slowenisch und in den Sprachen der Hergekommenen, die schon wählen dürfen, verkünden?
Einzig die Neos unter Janos Juvan in Klagenfurt/Celovec sind mit ihrer Presseaussendung auf Slowenisch, Englisch und Italienisch mutig hervorgetreten, und die Grünen haben zumindest in Klagenfurt das Kulturthema für Celovec auch auf Slowenisch angesprochen, dank Sonja Koschier; was jedoch schmerzt, wenn man bedenkt, dass die Vorsitzende Olga Voglauer es geschafft hat, dass ein Bundesgesetz – in 100 Jahren erstmals – auch auf Slowenisch veröffentlicht wird, in der Landeshauptstadt aber das Werbematerial faktisch ohne der einst ersten Sprache im Land auskommt.


Schön ist es auch zu wissen, dass es im Land auch andere, positive Signale gibt. Würdigen wir die Beschlüsse in St. Jakob/Šentjakob, alle 23 Otstafeln zweisprachig zu vervollständigen und auch Sittersdorf/Žitara vas, die sich nach Jahrzehnten überwunden haben, dem Dorf Sielach die ursprüngliche Namensnennung Sele hinzuzufügen, obwohl sie einst den Dorfbewohner Kukovica strafrechtlich dafür verfolgt haben…

Začudeno gledam, kaj se v predvolilnem metežu vse dogaja in gledam, kje bi se moj domači jezik in jezik prišlekov našel in slišal? Zamolklo se vsedem na klop pri peči in se vprašam, zakaj vsi, ki se čudijo, da se table skrunijo, v preteklih desetih letih ničesar niso podvzeli, da bi se dnevno slovenski jezik in jezik prišlekov zasidrav v zavesti in v javnem prostoru in bil tako viden in slišen za vse. Tudi tiste, ki jih moti, bi s tem morda dosegli in njihov prostor sovraštva bi bil ožji. In če že to ne, vsaj opogumili jih ne bi.


Zakaj še nimamo v časopisih dnevno povzetke v slovenščini in v jezikih prišlekov? Zakaj nimamo v ORFu podnaslove v domačem jeziku in naših sotrudnikov? In zakaj politične partije, vsaj v volilnem boju, kjer jim je menda vsak glas zlatá vreden, ne lovijo glasove v slovenščini in v jezikih sistemsko potrebnih?


Dokler se dejanja tako od besed razlikujejo, se nam ni treba čuditi, da se mulci – al pa ponaševalci – upajo – morda bolj iz ‚angeberije‘ – in ponoči packajo po tablah. Z malo več odprtosti posameznika, družbe in medijev najbrž do tega niti ne bi prišlo.

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Alissa Ganijewa: Verletzte Gefühle (Über)Leben in Zeiten wie diesen Nr. 12

Als die ersten überschwenglichen Reaktionen zu Alissa Ganijewas Buch Verletzte Gefühle eintrafen und ich endlich das gedruckte Buch auch in Händen halten konnte, schrieb ich dem Übersetzer Johannes Eigner folgenden Brief. Euch bitte ich – lest es einfach. Ich bin gespannt, ob es euch auch so hineinzieht. Ich würde mich freuen!

Lieber Johannes, 

vom ersten Gespräch über das erste hineinlesen in die Rohübersetzung zum vorliegenden Buch ist einige Zeit vergangen und das Buch ist gereift. Oft geht es mir beim Lesen eines Buches aus dem eigenen Verlag so, dass ich das fertige, nachdem ich das Manuskript gelesen habe, längere Zeit nicht in die Hand nehmen will. Es muss abliegen.

Gestern hat mir Matei das schöne fertige Buch zuhause vorbeigebracht und ich habe spät in der Nacht noch im Bett zu lesen begonnen. Alissa und du ihr seid verantwortlich, dass die Nacht um meinen Schlaf gebracht wurde und ich heute Zeitfenster suche, um weiter zu lesen. Wie in besten Zeiten mit den besten Büchern! Seit bedankt! Pažalsta!

Ich fürchte,  es wird eine Magnum sein müssen!

Herzlichst!

Lojze

Der Wieser Verlag hat sich schon Frühzeitig mit der Entwicklung im europäischen Osten verlegerisch zu beschäftigen begonnen. Ergebnis dieses meist nicht gewürdigten Interesses sind die zahlreichen Publikationen, von Europa erlesen bis zu den von Norbert Schreiber herausgegebenen Bänden zu Russland. Der Band zu Politkowskaja oder auch der Kaukasische Kreidekreis sind mitlerweile zu wichtigen Quellen der breiten Einschätzung der gesellschaftlichen Entwicklungen in diesem Teil der Welt geworden, zumal die zeitnahe Einschätzung für den weiteren Verlauf der europäischen Widersprüche von unschätzbaren Wert ist, auch wenn sie von den hiesigen Analysten und kulturell interessierten Kritikern meist gerne der Oberflächlichkeit und dem Übersehen geopfert werden.
Nichtsdestotrotz: Es gibt vieles zu entdecken und es ist oft nicht so, wie es sich darstellt, aber auch nicht, wie es scheint. Umsomehr ist man heute gefordert, der Literatur, dem Essay und der Lyrik zu vertrauen und mit ihnen – als Prisma in das Kommende zu schauen.

Hier eine Auswahl aus unserem Programm

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Die Barbaren sind längst unter uns. (Über)Leben in Zeiten wie diesen Nr. 11

Einleitendes.

Jetzt hab ich über ein halbes Jahr in meinem Blog geschwiegen. Zuviel der andern Arbeiten drängten sich vor. Nach drei Lockdowns und einer Corona-Erkrankung, die noch nach acht Wochen ihr Spiel mit uns, Barbara und mir treibt, und zeigt, dass die Langwirkungen erbärmlicher sind, als man sichs je gedacht hätte.
Nach der Zeit des langen Nachdenkens schien es mir an der Zeit, dass ich mich vielleicht doch wieder mit meinen bescheidenen Gedankengänge einbringe. Es tut weh, was sich gesellschaftlich abspielt und es schmerz, in welch schnellen Tempo gefestigt geglaubte kulturelle und demokratische Errungenschaften den Bach hinunter gehen.
Dazu schweigen – das war mir in den vergangenen fünf Jahrzehnten nicht gegeben, warum dann jetzt, oder? Vorlaut zu sein und sich Wichtig nehmen, das liegt mir nicht, zuviel der Minderheit ist in mir, das mich bremst und dann eher patschert erscheinen lässt und – da ist die Konkurrenz der Selbstdarsteller*innen auch zu groß, der ich mich nicht unbedingt stellen brauch.
Mich aber zu Fragen zu Wort zu melden, wenn die Wegkreuzungen ein Vorangehen vernebeln und wenn Zweifel überhand nehmen, interessiert mich schon eher und vielleicht kann ich auch – aus meinen drei großen Scheiterungen der vergangenen Jahrzehnte – die eine oder andere Sichtweise einbringen, die in den Zentren, bei den selbstverliebten Salons und den Verweigerern aller Schattierungen gerade nicht ins Augenmerk genommen werden. Oder auch nur, weil es mir auffällt, weil ich dazu eine Haltung einnehme, für die ich stehe und mich in meinen Sprachen einsetze.

Zunehmend gehen mir die Wadelbeißereien, das Schlechtmachen in Permanenz, das sich Wichtigmachen, das Besserwissen u zugleich nichts zur Veränderung Brauchbares vorzuschlagen auf den Nerv. Interessant ist, zu beobachten, wer das meiste Fett abbekommt: Die, Grünen, dann Personenen wie Anschober u. Kogler; weniger die Roten u Neos, weniger schon die Blauen und am Wenigsten die Türkisen.

Schaut man sich jedoch die gesellschaftliche Verantwortung an, ist es wohl umgekehrt. Aus dieser Realitätsverschiebung herauszufinden, die eine Sackgasse ist und die verantwortlich ist, dass still und seicht die konservativen u reaktionären neuen Gedankeninhalte Wurzeln schlagen, wäre eigentlich die drängende Aufgabe,  wollen wir nicht in einer inhumanen, demokratiefremden und -feindlichen Wirklichkeit aufwachen. Dafür wird Hirnschmalz u nicht nur Spucke, dafür wird Dialog und nicht nur Parteizugehörigkeit und -hörigkeit verlangt, dazu ist nicht nur objektive Meinung, sondern individuelle Haltung erforderlich und die zwingende Selbsthinterfragung von Nöten, um wieder einen gesellschaftlichen Raum von Achtung und Würde zu errichten.

Alteingefahrene und verschlissene Methoden greifen nicht mehr,  falsche Antworten deprimieren. Wie es war, bleibt es nicht. Nur, wie es sein wird, hängt wohl davon ab, ob man sich aus der Zone der  selbstbefriedigenden Privilegien heraus beginnt dagegen einen Damm zu bauen und zur Neugestaltung des friedlichen Zusammenlebens übergeht.

Man brauch es eigentlich nur zu tun. Der friedlichen Zukunft und der Achtung willens. Alles andere, von Hass bis Krieg, das hat uns das 20. Jahrhundert schmerzlich und nachhaltig vor Augen gefüht, hat die Seelen zerfressen. Das Zerstörende wächst und verbeitet sich, wie von selbst. Und: Die Barbaren sind längst unter uns.


Ein Gedicht:


Konstantinos Kavafis
Warten auf die Barbaren

Worauf warten wir, versammelt auf der Agora?

Es heißt, die Barbaren kommen heute.

Warum diese Untätigkeit des Senats? Was sitzen die Senatoren / herum und verabschieden keine Gesetze?

Weil die Barbaren heute kommen. / Was für Gesetze sollen die Senatoren noch machen? / Wenn die Barbaren da sind, werden sie die Gesetze machen.

Weiterlesen bei Gerda Kazakou

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10. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. Mit dem KELAG Preis prämierter Bachmanntext von Egon Ch. Leitner

Viel scheint sich, vom Denkansatz her, in den letzten 175 Jahren, wohl nicht geändert zu haben und wir bekommen aus den Schlachthöfen und von Erntehelfern quer durch Europa Bilder zu sehen, die den einstigen Lebensbedingungen des 19. Jahrhunderts bedrohlich näher kommen. Es ist Zeit für eine Aufarbeitung. Die heutige Lage der arbeitenden Klasse in Europa drängt in den Vordergrund. Ich sehe schon, wie so einige zusammmenzucken beim Wort „arbeitende Klasse“, die es nach all den Jahrzehnten nicht mehr geben soll. Getauscht: Arbeitnehmer – Arbeitgeber. Wer gibt wohl, wer nimmt wohl?

Die Pandemie, scheints, funktioniert wie eine Lupe und bringt zutage, was unsichtbar schien. Egon Christian Leitner lenkte schon 2012, in seinem Sozialstaatsroman „Des Menschen Herz“, den Blick auf diese Verhältnisse und wurde als übertriebener Mahner gerne zur Seite geschoben. Sein nun mit dem KELAG Preis prämierter Bachmanntext ist die Fortsetzung des Sozialstaatsromans, er ist eine Erweiterung und Konkretisierung der vor unseren Augen sich einschleichenden Verelendung der Gesellschaft, die „die ‚Verdrittweltlichung der Ersten Welt‘ (zB. ewiger, stets verleugneter Pflegenotstand), nicht durch die Flüchtlinge, sondern durch den Narzissmus der Eliten“ offensichtlich macht.

Die Schere wird immer weiter geöffnet, ihre Schneiden werden schärfer. Dass dieser Inhalt beim Bachmannbewerb gewürdigt wurde –  Klaus Kastberger hat den Text nominierte und wurde fast selbst vom Erfolg überrascht – ist der sichtbar und greifbar  gewordenen Wirklichkeit geschuldet. Es scheint sich eine Verschiebung der Wahrnehmung anzukündigen, die nur noch deutlicher, nur noch klarer darauf hinweist, wie groß die Not nach einer Aufarbeitung der sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und der damit verbundenen menschlichen Lebensbedingungen geworden ist und wie schmerzhaft und zerstörend  das fehlende Helfen und Beistehen ist. Leitners Sozialstaatsroman und sein prämierter Text können hier dankbare Haltegriffe sein.

Stimmen zu Egon Christian Leitner:

Deutschlandfunk: Egon Christian Leitner las den sozialkritischen Text „Immer im Krieg“ in Form von einzelnen Geschichten über Menschenschicksale im Sozialstaat. Für Philipp Tingler zu rigide und verstaubt, doch die übrigen Jurymitglieder fanden verteidigende Worte. Klaus Kastberger war regelrecht begeistert. In seiner Laudation wandte er sich direkt an Egon Christian Leitner: Er sei „glücklich, dass diese Art von Literatur in Klagenfurt eine Chance hat.“ Sein bisheriges Werk umfasse drei Bände. Alles fügte sich zu einem Begriff: Sozialstaatsroman. Darin benenne Leitner auch drängende Probleme: „Sozialstaat selbst hat auch ein Problem, in diesen Gesellschaften ist bei weitem nicht alles gelöst. Wir müssen auf dies ungleichen Verteilungen schauen.“ Er halte die Preisvergabe daher „für ein kleines Wunder.“ 

SWR: „Der Grazer Schriftsteller Egon Christian Leitner, der mit seinem wuchtigen Werk gegen die herzlosen Verhältnisse im Sozialstaat zu Felde zieht (..) ist ein Berserker, ein aus der Zeit gefallener, der vielleicht gerade deshalb unsere Zeit so gut beschreiben kann. Sein Schaffen, das auf vielen hundert Seiten bereits veröffentlicht ist, gilt es nun zu entdecken.“ (SWR)

ORF: „Klaus Kastberger sagte zu seinem zweiten Autor, dieser habe 1.200 Seiten in seinem Werk von drei Bänden geschrieben, ein Sozialstaatsroman, dessen vierter Band im Herbst erscheine. Er weise Leser in einer unglaublich rigiden Art auf Ungleichheiten im Sozialstaat hin, dass man hinschauen müssen. Das zentrale Wort sei das „so“, er stelle fest, wie es ist. „So, jetzt ist die magersüchtige Frau verhungert“, das „so“ zeigt sich auch heir: „So, jetzt hat Egon Christian Leitner einen Preis. So, jetzt haben Sie Ihren Preis und machen Sie, was Sie wollen“, so Kastberger ironisch zum Preisträger. Werner Pietsch von der KELAG gratulierte zum „mutigen und gelungenen“ Text, der Teil eines großen Ganzen sei. (…)“

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9. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. “ Und, wie geht es dir?“ 3. Juni 2020

Grad heute, oder wars schon gestern, fragte mich ein Freund: Und, wie geht es dir? Hier, meine Antwort: 


Du fragst, wies läuft? Da gibt es keine eindeutige Antwort. Einerseits versuchen wir aus der Kurz-Arbeit heraus im digitalen Bereich eine breite Interessenswirkung für die Bücher zu entwickeln. Wir haben gute Resonanzen, die aber im Buchhandel gefiltert ankommen. Im öffentlich rechtlichem Bereich würden wir uns eine systematischere Unterstützung, nicht nur eine punktuelle wünschen, aber das ist wohl aus zweierlei Dingen nicht möglich: einerseits hat der ORF, aber auch die Zeitungen, ihre Kultur auf Kurz-Arbeit geschickt, andererseits sind unsere Vorstellungen, was wie zu tun wäre grundsätzlich verschieden, denke ich. In vielen Bereichen beginnt die mediale Welt wieder die Hochkultur anzubeten und vergisst, woher der Hummus kommt. Eine dritte Ebene, die das Leben schwerer macht, als notwendig, ist, dass wir keine Signale erhalten, wann die Verlagsförderung – und in welcher Höhe – kommen wird. Hätte, in unserem Fall, Kärnten nicht rasch seine Fördersumme vorgezogen angewiesen, stünden wir heute ohne Liquidsmittel da. Unsere reichen noch bis zur zweiten Junihälfte, dann wirds eng. Von der Bank hören wir, trotz Nachfrage seit 7 Wochen nichts. Nichts, was die Vorfinanzierung der Kurz-Arbeit – durch Rahmenerhöhung – nichts, was einen Kredit anbelangt. Du stehst da, wie die Kuh vor einer Bibel. 

Wir arbeiten sehr, sehr sparsam, betreuen einen Autor, der beim Bachmannbewerb auftreten wird, servisieren die Medien mit PDFs und Besprechungs-Exemplaren, vermitteln Interwievs, servisieren z.B. Radiostationen, die eine Sendung über 100 Jahre Volksabstimmung vorbereiten – nicht nur mit Büchern, auch mit Gesprächspartnern, die wir vermitteln. Wir machen wöchentlich ein Newsletter, der an tausende Abonnenten geht,  haben zwei Kataloge gemacht, bereiten die Frankfurter Messe vor, obwohl auch die in letzter Minuten fallen kann; ich bin in den Vorarbeiten für zwei Geschmacks-Filme, obwohl auch hier der Realisierungsfaktor bei 1:2 – ja oder nein – steht, gebe 3 Bücher heraus: eines ediere ich ganz, schreibe beim Zweiten das Vor- u das Nachwort; wir versuchen soweit wie möglich, die Bücher lieferbar zu halten und unserer Programmatik, Literatur aus dem europäischen Osten weiterhin systematisch aufzulegen, nachzukommen, bringen in der Reihe Ultramarin gesellschaftlich vertiefende Essay, die wir zur Diskussion stellen, eröffnen Europa die Tore zur Emotionalität, mit Europa erlesen und dem Geschmack Europas, legen Grundsteine durch die Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens und weiten unseren Wirkungskreis in die Theaterwelt (Culinaite L’Evrope im Burgtgeater) und in den Tourismus aus (die von mir mitbegründeten Tage der Alpen-Adria Küche in Klagenfurt/Celovec – das 3. Mal im September).Wir sind Gesamtkulturell mit neuen Ideen präsent, gerade eben auch mit Vorschlägen an For Forest, wie man kukturell und künstletisch den Wald im Stadion langfristig wirken lassen könnte…Das ist alles mit Arbeit, Kreativität und angehäuftem Wissen, aus Jahrzehnten, zwar – immer wieder – zu machen, aber es ist Präkariatentum und findet nicht jene Anerkennung, die über den Rand des Bettelns und verzweifelten Bittens hinaus geht. 

Schau dir nur die Zahlen der letzten 20 Jahre in den Bundesförderungen an – im Vergleich mit dem, was andere Verlage oft bei weniger Aktivitäten, bekommen.Ich frage mich: Gibt es da ein Gefälle –  Wasserkopf Wien versus Steppe Provinz? Dieses Mießverhältnis kommt zu allem anderen dazu und verstärkt das Gefühl der ungleichen Behandlung. (Ja, ja, ich höre sie, die Sprüche: Juryentscheidung u.v.a.m).

So, jetzt hast du einen kleinen Einblick und einen Versuch meinerseits, einer unvollständigen Antwort auf deine Frage bekommen. So schauts aus und Corona machts es nur sicht- und schmerzhaft spürbarer! 

Wie sagte es Maria Lassnig? „Mit der Kunst zusammen: da verkommt man nicht! Ohne Kunst verkommt man und ich besonders.“ Dem habe ich wahrlich nichts hinzuzufügen.

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8. (Über)Leben in Zeiten wie diesen – mit Büchern. Sie sind „Beiseln+Wirte der Seele“. 14.5.2020

„Literatur ist Alchemie: Alltagsstoff verwandelt sich in Gold. Aber es ist Alchemie in Zeitlupe. Wie sie funktioniert, können Schriftsteller meist selbst nicht sagen (Literaturkritiker auch nicht)“, schreibt Martin Ebel am 11. Mai im Tagesanzeiger.

Die Literatur, die Musik, ja die Kunst verbindet dich mit etwas, was größer ist als du selbst. Diese Feststellung als Kompliment kam dieser Tage per Tweet: „Das literarische Leben geht unbeirrbar weiter … auch dank des Wieser Verlages und seiner Kreativen. Wie das Wasser findet es seinen – immer wieder neuen – Weg, alle Hindernisse umfließend, um im Meer seiner Bestimmung aufzugehen, schreibt uns Arnulf Spiess, ein alter Freund.

Und weil wir in einer Zeit leben, die mit der Bewältigung der aktuellen Pandemie uns nicht vergessen lassen darf, dass die geistige noch viel tiefer sitzt, finde ich mich an Diderot erinnert, der mit seinem enzyklopädischen Ansatz der Disharmonie und der kaleidoskopartigen Betrachtung die Breite der Vielfalt skizziert, die sowohl im Konsens als auch im Widerspruch zueinander den gesellschaftlichen Fortgang erst ermöglicht. Das ist in den heutigen Debatten, schnell hingesagten Vorwürfen und seichtem Getwitter, wie es scheint, zu oft verschollen.

Wie auch vergessen scheint, dass wir Anfang der Neunzigerjahre noch vieles ändern hätten können, da war die chauvinistisch-nationalistische Zerstörungswut noch nicht entbrannt; mit den Briefbomben begann es sich zu drehen und alle, ja alle Parteien öffneten ab da dem Populismus Tür und Tor, und dieser hielt, von Österreich ausgehend, Einzug im europäischen Diskurs, bis er diesen bestimmte. Wir müssen nicht weit schauen und erkennen seine Fratze in der Unterscheidung zwischen „in Österreich lebenden Menschen“ und „Österreicherinnen und Österreichern“, im Schließen der Augen vor der Not auf Lesbos und den Elendsquartieren, im menschenunwürdigen Umgang mit den ErntehelferInnen oder der unwürdigen Sonderzugaktion für Pflegerinnen. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.

Wir hielten mit unserer Verlagsarbeit konsequent dagegen, organisierten während des Krieges um Jugoslawien Unterstützungen für Autoren auf der Flucht, boten ihnen Exil und halfen ihnen zu überleben. Wir übersetzten systematisch Literatur aus Südosteuropa, dem Balkan und dem europäischen Osten, gründeten die „Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens“, um dem Manko an Wissen über diesen Raum entgegenzuwirken, und mit „Europa erlesen“ gaben wir Europa einen literarischen Begriff, indem wir europäischen Regionen und Städten literarische Visitenkarten ausstellten und der Emotion, dem Gefühl und dem Gesicht Worte und Verse gaben – allein in dieser Reihe in 230 Bänden.

Damals wie heute wussten wir: Es ist die Literatur, die unsere Ängste und Unsicherheiten eindämmt. Es ist die Literatur, die dir das Gefühl für die Zeit wieder gibt (siehe Antescriptum Wieser-Herbstkatalog).

Literatur ist geistige Nahrung, Literatur ist ein Grundnahrungsmittel, ohne das eine Gesellschaft zugrunde geht und verwelkt. Bücher sind Lebensmittel der Seele, von ihnen hängt das Gleichgewicht der Seele und die erfolgreiche Zukunft ab. Drum ist es nur recht, wenn diese „Beiseln+Wirte der Seele“ mit Büchergutscheinen für heimische Verlage, im Buchhandel einlösbar, wieder erweckt und belebt werden. Daher mein Vorschlag: Für Leser mit Tendenz zum Zweitbuch 25 €, für geübte und Mehrleser 50 €.

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7. (Über)Leben in Zeiten wie diesen – durch „Europa erlesen“. 7. Mai 2020.

Was für eine schöne Ehre und Auszeichnung am Vortag zum 8. Mai!

Auch die EU-Kommission Wien nützt den vom Wieser Verlag erfundenen Namen „Europa erlesen“ für eigene Veranstaltungen.

Die 1997 im Wieser Verlag gegründete Reihe „Europa erlesen“ ist jetzt titelgebend für Lesungen, die die EU-Kommission in Wien im Zuge der Europa-Woche organisiert hat.

Ob es sich bis zur EU-Kommission in Wien durchgesprochen hat, dass in dieser Reihe bislang 230 Titel – zu Regionen und Städten faktisch aller Länder Europas und darüber hinaus – erschienen sind?

Wir werden es vielleicht gar nie erfahren …

In diesen Tagen der Selbstisolation führten mich die Gedanken zurück in die Zeit der Briefbomben und der Bewältigung der Angriffe auf den Verlag und mich als Person (1994–1997).

Angeschlagen suchte ich, allein geblieben, von vielen Weggefährten im Stich gelassen, verunglimpft und verleumdet, nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation.

Es geht ja noch immer um Literatur! – sprach ich mir Mut zu und ich war mir bewusst: Es wird ohne neue Wege, ohne zeitgemäße, moderne Mittel nicht gehen! Zeitgleich mit der Erfindung der Reihe „Europa erlesen“ bauten wir – mit neuen Verbündeten und neuen WegbegleiterInnen – auf die Anfang der Neunzigerjahre gemachten Erfahrungen mit dem Internet und begannen bewusst die neuen Möglichkeiten zu testen und zu entdecken.

Ich glaube, dass wir damit in der Buchbranche in Österreich unter den Pionieren waren. In der „Wayback Machine des Internet Archive“ kann man einen Blick auf die Fassung von 2000 werfen. Damals war Google noch neu, aber ich erinnere mich, wie sich allmählich „im Internet suchen“ zum schlichten „googeln“ wandelte und Google selbst zum Begriff wurde.

Wie schon erwähnt, arbeiteten wir im Verlag seit dem Frühjahr 1997 an der Idee einer neuen Reihe, die im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse das „Licht der Welt“ erblickte und die nicht einzelne AutorInnen, sondern eine europäische Region, eine europäische Stadt literarisch in Augenschein nimmt. Wir gaben Europa Hoffnung!

Damit und – ich wage es zu behaupten – darum (!) ist uns auch gelungen, aus „Europa erlesen“ ein geflügeltes Wort und in Folge „Europa erlesen“ zur Wort-Bild-Marke zu machen. Zu einem Begriff, an dem auch so manche gut dotierte Kommission nicht vorbeikommt und sich bedient …

Wir und Sie, werte Leserschaft und geschätzter Buchhandel, wissen schon lange von der Bedeutung von Kultur und Literatur und dem Wert der Reihe „Europa erlesen“ und freuen uns sehr, nehmen aber den offensichtlichen und stillschweigenden „Unsichtbaren Orden“ (Erhard Busek, siehe unten) zum Anlass, an vielen weiteren Bänden der Reihe zu arbeiten.

„Gestern wurde bei dem Verlagsfest in der Diplomatischen Akademie dem Wieser Verlag der „Unsichtbare Orden“ (Erhard Busek in der Einbegleitung) für seine Verdienste um Integration und Verständigung durch Kultur und Literatur verliehen. Österreich und Europa braucht solche Verlage und Verleger, die mit langem Atem durch Beharrlichkeit alle Höhen und Tiefen zu durchschreiten fähig sind.“ (17.5.2017)

Stand am Anfang Voltaires Satz „Europa kennen, Europa erkennen“, haben wir diesen weiterentwickelt: Wir wussten, wir werden Europa nur erkennen, wenn wir EUROPA ERLESEN und es erhören!

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6. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. 28. April 2020

Wir leben in einer Zeit, die mit der Bewältigung der aktuellen Pandemie uns nicht vergessen lassen darf, dass die geistige noch viel tiefer sitzt und immer wieder in Wellen über uns kommt, mit Mechanismen des Vergessens und Verdrängens, die auch schon von der Menschheit Erreichtes sehenden Auges mitreißen, gewollt oder nicht.

Ich fühle mich zweigeteilt, gebremst und kontrolliert, diszipliniert und äußerlich ruhig, finde aber innerlich nicht die richtige Ruhe. Ich arbeite viel, doch weiß ich nicht, wohin es führt, versuche der Kulturpolitik zu folgen und die handelnden Personen in Land und Bund zu überzeugen und auf die Gefahren hinzuweisen, in denen alle Kultursparten zunehmend versinken. Es erschöpft, die vielen Ankündigungen und die Reden von raschen Maßnahmen und dass „niemand zurückgelassen werden soll“ bedrängen die tagtägliche Selbstmotivation. Hinzu kommt, dass die Banken nicht gerade vor Umsetzungswillen sprühen und dass Worte der Politik mit den Taten der Banker nicht unbedingt korrelieren. Oder umgekehrt.

So schreibe ich in diesen Tagen, denke, telefoniere, koche, redimensioniere die Kräuterschnecke; am wenigsten noch gelingt das Lesen; zu vieles rauscht und lenkt ab …

Eine gute Ablenkung war die Arbeit an einem großen Interview für die Wochenendbeilage der slowenischen Wochenzeitung Delo, das vor einer Woche erschien und großes Echo hervorrief. Quer durchs Land, vom ehemaligen Ministerpräsidenten bis zum einfachen Lagerarbeiter, kamen zustimmende Anmerkungen, insbesondere zu den klaren Darlegungen zu Peter Handke durch meine Zurückweisung der unqualifizierten Anschwärzungen.

Was auffällt: Ein Leben, in dem die Zukunft so generell unklar, wo das Reisen und die freie Bewegung so reglementiert ist – und das nach meist nachvollziehbaren Kriterien –, ist wie ein Achter im Fahrrad: man kommt zwar irgendwie voran, aber wie bei einer permanenten Schlaglochtour. Was wäre es erst, wenn die Maßnahmen autoritär, reaktionär und diktatorisch wären, wie im Faschismus?

Und: es fällt auf und offenbart sich, wie seicht und oberflächlich der Lebenstiefgang und das Gehabe verschiedenster Akteure ist. Es desillusioniert. Vor allem, wenn es um die wirklichen Fragen der Zukunft geht. Die Blendung ist zwar angezählt, umso deutlicher sieht man, wie die hohlen Sätze daherplätschern …

Der Herbst wirft seine Schatten voraus. Die Arbeiten am Herbstprogramm sind bei Drava und bei Wieser voll im Gange. Ist das verzweifelter Mut, der uns treibt? „Ist die Kuh durch die Öffnung der Buchhandlungen wirklich vom Eis“, wie sich Tim Jung von Hoffman & Campe fragt? Und werden die Frühjahrsbücher zu ihrer Leserschaft finden, noch bevor die Herbsttitel das Licht der Welt erblicken, oder werden sie nur gemeinsam ein erneutes Aufbäumen wagen müssen, in der Hoffnung, nicht wieder allein gelassen zu werden, nicht wieder auf die Nase zu fallen? Wenn die Ankündigung des Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser, die Jahresförderung sofort auszahlen zu wollen, als Schwalbe des Frühjahrs verstanden werden kann, die vom Süden fliegend auch in Wien gesehen, gehört und verstanden wird, könnte es vielleicht gelingen.

Ich habe soeben – als Selbstbeschwörung? – für den Herbstkatalog im Antescriptum geschrieben: „Es lebe das Buch!“ Ich habe mich entschieden und vertraue der spanischen Schriftstellerin Irene Vallejo, die sagt: „Bücher sind unsere Verbündeten.“

So soll es sein, so wird es (hoffentlich) sein – auch dank Erika, Matei, Josef, Jasna, Thomas, Dietmar, David, Selina, Dunja …, die aus den erzählenden Sätzen und Versen der Autorinnen und Autoren, der Übersetzerinnen und Übersetzer, schöne, haptische und aufmunternde, nachdenkliche, befreiende Bücher machen, auf die wir uns stützen.

In Erinnerung an Raimund Fellinger, der am 25. April verstarb. Uns verband eine jahrzehntelange Freundschaft. Reise gut, mein Freund!

„Zu schweigen erstarre ich auch stets, wenn man mir Vorwürfe macht, anscheinend bin ich prädestiniert, solche auf mich zu ziehen“, schreibt Raimund Fellinger im März 2011 in einem Mail.


Im Magazin der Süddeutschen stellte er fest: „Selbstzweifel sind immer gut. Man nutzt doch Literatur, um sich als Leser in Frage zu stellen. Wer im Umgang mit der Literatur keine Ironie gelernt hat, dem ist im Leben nicht mehr zu helfen.“ (SZ, 22.2.2016)

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5.(Über)Leben in Zeiten wie diesen. 13. April 2020

Der Ostermontag – Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. Es ist die Literatur, die unsere Ängste und Unsicherheiten eindämmt. Es ist die Literatur, die dir das Gefühl für die Zeit wieder gibt. Sie verwandelt Stunden in Minuten und Minuten in Tage. Die dir das Leben in eine Erzählung wandelt. Die dich klüger macht, fluider, charismatischer. Die dich an die Zukunft erinnert. Die dich solidarisiert, sensibilisiert, kristallisiert und sie erleichtert dir die Sprünge ins Unbekannte. Sie ermöglicht dir die Überwindung von Widersprüchen und vom Paradoxen. Sie entflammt das Feuer in dir und revolutioniert dich. Die Literatur kommt Großteils – außer im ebook – zwischen Buchdeckeln daher. Die Literatur macht offen, sie weckt auf und sie macht frei. Wenn du ließt, hast du das Gefühl, mit dir ließt die ganze Welt. Literatur ist Solitär und Solidär. Einsam um Gemeinsam. „Bücher sind unsere Verbündeten“, sagt die spanische Schriftstellerin Irena Vallejo. Sie seien unsere Verbündeten zum Erhalt dessen, was uns am Wertvollsten ist. In Zeiten  der Unruhe und Zeiten der Ängste kann Lesen das Instrumentarium zur Erneuerung der Zukunft werden, denn sie seien die Hüter des Wissens. „Späteren Generationen haben sie das Wissen, die Entwicklung und die Visionen vergangener Zivilisationen erhalten“. Und, sie sind empfindlich.


Vielfach ist heute wieder zu lesen, nach der Krise wird es so sein, wie es war, nur schlimmer. Die Einen setzen aufs Gewohnte und auf Tradition, die Anderen auf kluges Zerreden jeglicher Veränderungsmöglichkeit. Ob es die Auferstehung eines undeffinierbaren Brauchtums ist oder doch eher die Rückgewinnung des Einfachen, das kompliziert zu machen ist, wie wir an allen sich in der Krise auftretenden Fragen studieren können, an dieser Reibung wird man die Weichen stellen, um letztendlich die Zukunft zu erkennen. Daher macht es sehrwohl Sinn,  heute und hier, die Grundsatzfragen zu benennen und an der Verschiebung des Gewichts der Beurteilung und der gesellschaftlichen Prioritäten zu wirken. 


Brüchig geworden ist – und sichtbar – dass in Österreich verschiedene Menschen, nicht nur „Österreicherinnen und Österreicher“, leben und ihnen die  Würde nicht mehr weiterhin streitig gemacht werden kann. Gezeigt hat es sich, dass pandemische Entwicklungen nur beizukommen ist, wenn man die erforderlichen Maßnahmen in den wichtigsten Sprachen und auf Augenhöhe mit den hier lebenden Menschen kommuniziert. Dass es geht und wie es geht, haben das Gesundheits- und das Justizministerium unaufgeregt und rasch gezeigt, wollten sie sich und ihre eigenen Maßnahmen nicht zunichte machen und das unkontrollierte Wachstum verhindern. Sogar den Gewerkschaften gelang das Kunststück, für alle Arbeitenden einzutreten und die über Jahrzehnten liebgewordene Haltung , nach der die „Österreicher zuerst“ vor den anderen zu bedienen seien, hintan zu stellen.  


Das Prinzip der deutschen Sprache, mit dem die in Österreich lebenden Menschen nunmehr seit (zweieinhalb) Jahrzehnten in immer penetranterer Form gegeißelt wurden hat sich in Zeiten wie diesen als unwirksam erwiesen. Offensichtlich wurde nur das Versäumnis, dass den hergekommenen Menschen nicht schon in diesen Jahrzehnten, während der Arbeitszeit, die Kenntnisse der deutschen Sprache beigebracht wurde. Die eigene wurde ihnen verstümmelt, die hiesige nicht beigebracht. Herausgekommen sind Menschen, die an den Rand der Gesellschaft,  in ‚Chinatowns‘ abgeschoben und zum Verstummen im öffentlichen Raum gezwungen wurden, ohne aktiven und passiven Wahlrecht, ohne Würde und Achtung, zu Sündenböcken gestempelt, denen man spitzfindig und phantasievoll die Grundrechte massiv zu beschneiden Begann. Erst der in der Krise offensichtlich gewordene Pflegenotstand oder der Erntehelferschwund führten die, diesen Menschen, angetane Ungerechtigkeit breiteren Schichten vor Augen und machte auf die bedeutende Rolle der Verachteten  aufmerksam. 


Wie gewaltig dieser Meinungsumschwung und wie tief er gesellschaftlich geht, ist wohl am deutlichsten an der erfreulichen Tatsache abzulesen,  dass die auflagenstärkste Tageszeitung im Lande, die Kronenzeitung, ein Titelblatt in 21 Sprachen gestaltet. Einem Wunder gleich spiegelt sich darin der Umbruch wieder, war doch diese Zeitung Jahrzehnte der mediale Wegbereiter des sich verbreitenden Ausländerhasses und zeigt uns diese Tatsache nur noch eindringlicher, welchen Schaden man vom Land frühzeitig abgehalten hätte,  wenn man in den vergangenen Jahrzehnten,  spätestens seit der Briefbomben-Serie der Neunziger, in allen Print-Medien Zusammenfassungen der Artikel in den wichtigsten Sprachen der hergekommenen Menschen gedruckt und in den Sendern zumindest die Nachrichtensendungen in diesen Sprachen untertitel hätte. Aber hier wurde in unbelehrbarer Form fortgesetzt, was sich als Assimilationswerkzeug gegenüber den ‚autochtonen‘ Minderheiten scheinbar bewährt hat und man glaubte wohl, damit der Welt im Umbruch am Beginn des 21. Jahrhunderts ebenso gewachsen zu sein. Spätestens die ‚Ortstafellösung‘ vor zehn Jahren in Kärnten hätte zu einer Meinungsänderung führen können, denn daran hätten sensiblere Politiker schon ablesen können, dass die Menschen weiter sind, als die Politik. In der jüngeren Zeitgeschichte war das zuletzt die Atomstromabstimmung zu Zwentendorf und die Minderheitenfeststellung Mitte der Siebziger – und zeigt uns die Wichtigkeit der Einflußnahme auf die laufenden Prozesse durch Meinungsbildung, Sprache, Übersetzung im Allgemeinen. All dies stärkt das Immunsystem, wehrt Krankheiten ab, verzögert die Ansteckung und die Erkrankung.


Bücher und Literatur sind Lebensmittel, sind Arznei, sind Wellness  und Sommerfrische der Seele. Die Poesie ist die Melodie.

Vlado Kreslin (von mir ins Deutsche übertragen)

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4. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. „Die Glocken fliegen nach Rom…“ 9.April 2020

Beim Lesen von Josef Winklers Gespräch mit Uschi Loigge in der Kleinen Zeitung vor wenigen Tagen, erzählt Winkler auch von den Glocken, die zu Ostern nach Rom fliegen würden. Das führte mich in meine frühe Kindheit, wo Glocken und Ratschen eine Rolle spielten.


Der Dorfpfarrer Brumnik – die Göttin hab ihn selig -, seines Zeichens ein Bulldozer,  der mit der missionarischen Wucht und Aggression jeden und alles niedermachte, warb vor der Osterwoche um Ministranten und durchbohrte jeden mit seinen hervorquellenden, stechenden Augen, baute sich vor mir auf und zeigte mit dem Finger auf mich: Ti! Du! Eingeschüchtert, von unten nach oben schauend, den Kopf zwischen die Schulter, die Igelfrisur aus „Haaren wie Schweinsborsten“ (Stric/Onkel Hugo) stellte sich wie ein Abwehrschild auf und trieb mir die Tränen in die Augen. Ich werde kein Ministrant! Nur einmal breitere sich dieser Wunsch in mir aus, als Möglichkeit von zuhause wegzukommen und wurde ob der damit verbundenen disziplinierenden Rituale dem stärkeren Willen nach dem „Selber-Sein“ rasch wieder verwofen; wurde nicht geopfert, im Opferlamm ist der Willen nach Unterwerfung verborgen.


Ich wurde kein Ministrant, ich liebte es, mit meinem Volksschulfreund M. am Sonntag außerhalb der Kirche – bei den wenigenmalen des sonntäglichen Messebesuches – im Gras, außerhalb, in Hörweite der Messzeremonie, im Inneren des Presbysteriums, zu liegen und mir die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, streng bis gehässig von den – auch nicht die Messe besuchenden, scheinheilig frömmelnden Moralaposteln, die die Messe schwänzten und wichtigtuerisch bei den Familiengräbern vorbeischauten – angefaucht oder „Das tut man doch nicht!“ mir sagen zu lassen. 

In den Tagen, auf Ostern zugehend, erzählte uns Pfarrer Brumnik, dass die Glocken nun zu Ostern „nach Rom fliegen“ und sich der dumpfe Klang des Glockentriangels – der den in seiner Nähe sich Aufhaltenden das Gehör nahm und noch kilometerweit die Erde erschütterte und das zarte Grün der sprießenden Birken, Hainbuchen, Brombeer- und Himbeerblätter, der Ribiselsträuche und der gerade in die Fenstertröge gestellten Hängenelken erzittern lies, die freilaufenden Hühner erschreckte und dem Hahn, trotz angesträngtem Kikerikien, jegliche Autorität nahm – nun in ein Ratschen, wie bei alten Weibern, verwandeln werde, und – wie der sterbende Šumi-Onkel  ächzend, stöhnend – ihre Botschaften darboten. Als ich diese Erzählung von den „nach Rom fliegenden“ Glocken hörte,  schaute ich mit großen, neugierigen Augen. Den Pfarrer anstarrend raste die Phantasie, alles um mich herum vergessend, bis mich eine Kopfnuß, seine beliebteste Form der Aufmerksamkeiterheischung, brennend-schmerzlich in die Gegenwart zurück brachte und jäh das mit den Glocken Mitfliegen unterbrach. 

Nach der Religionsstunde machte ich mich auf, den Kirchturm zu beobachten, zu schauen, ob die da hoch oben mit einem Verschlag halb verschlossenen Fenster denn durchbrochen wären, geöffnet worden seien, um den Flug der großen und der beiden kleinen Glocken nicht zu behindern. Was ich nach einiger Zeit vernahm, war einzig das Knarren der Tram und der Balken, der Schindel und der Seile, die die Glocken festzurrten. Es hörte sich an, als hätte das Gebälk langsam, aber stetig das Dasein satt und sich zur Flucht aufmachen würde oder, um in sich zusamnenzufallen, übereinander zu werfen und für immer zu einer Ruine zu werden. 


Zuhause angekommen, Umwege über Felder nehmend, die ersten Wiesenblüten streichend, fragte die Mama sorgenvoll, was denn geschehen wäre, sie habe sich schon Gedanken gemacht und meinte dann, als ich ihr meine Enttäuschung und Verwunderungen über die ‚fliehgenden Glocken, die ratschen“ erzählte, dass sich wohl auch Glocken ausruhen müssen – von ihrem vielen Künden. Es beruhigte mich ein wenig, aber mich, den den Achtjährigen, lies es im Zweifel.

Im dreißigsten Jahr