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2.(Über)Leben in Zeiten wie diesen.

18.3.2020 (drei Tage nach den Iden des März)

Corona hat ungewollt den Finger auf das Wesentliche gelegt. Ohne grenzüberschreitende Hilfe geht es nicht, oder es wird alles schwer bewältigbar. Ohne gegenseitige Hilfe bleibt man in Zeiten wie diesen unbeholfen zurück. Nur klare, sachbezogene, nüchterne, abgestimmte Information wird geschätzt und die einige Zeit aus den Augen verlorene Gemeinsamkeit wird wieder großgeschrieben. Immer mehr Menschen entdecken wieder solidarisches Verhalten.

Die Blender werden aufgedeckt, die parteipolitischen Interessen bloßgestellt, die Vertuscher bleiben blass und wirken unbeholfen und die – hochgebildeten, promovierten – Frühstücks-Politiker führen sich selber vor und liefern den Beweis ihrer Unbrauchbarkeit – siehe Tirols Landeshauptmann und seinen Gesundheitslandesrat. Die NLP-Geschulten werden mit ihrer immer gleichen Choreographie ihrer Hände zu Luftfuchtlern – in Anbetracht der Ruhe, Sachlichkeit und Argumentationsstärke anderer. Man sieht sehr schnell: Hektisches Fuchteln kann die Grundprobleme nicht in den Griff bekommen. Gemeinsames Tun bewegt und hilft sich und anderen.

In diesen wenigen Tagen hat sich nicht nur das Land verändert, in diesen wenigen Tagen hat sich auch Spreu vom Weizen zu trennen begonnen. Einige haben schnell gelernt, andere machen sich selber überflüssig. Darin kann man, wenn man schon vom Reinigungsprozess der Krise spricht, positive Impulse für die Zukunft ablesen, nicht aber im zynischen und verachtenden Wiederaufwärmen längst von der Geschichte widerlegter Thesen eines Schumpeter und der Wiedererweckung jener eines Hayek, der in 1930ern die Massenarbeitslosigkeit für notwendiges, regulierendes Übel hielt und das „Nichts tun, die Märkte regeln das schon“ anpries und den Populismus groß werden ließ. In der „Süddeutschen“ stellt Joachim Käppner gestern, am 17.3., in seinem Kommentar „Die Corona-Krise entzaubert die Populisten“ zur Lage in den USA und zur Corona-Krise zu Recht fest:

„Vielleicht aber triumphiert der Populismus erneut – dann nämlich, wenn die Demokratien die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht abfedern. Diese Folgen treffen Ärmere, Geringverdiener, sozial Schwächere, Alleinerziehende zuerst; sie alle werden am dringendsten Hilfe benötigen.“

Und meint abschließend:

„Hier bildet sich eine neue soziale Frage heraus, auf welche die Politik bald schon Antworten wird finden müssen. Elend und Massenarbeitslosigkeit wären ein idealer Nährboden für die Verheißungen des Rechtspopulismus. Die Welt der Demokratien sollte diesen Gegner nicht noch einmal unterschätzen.“

Die heute und in den letzten Tagen von der Regierung vorgeschlagenen Programme scheinen die erwähnten Gefahren zu ahnen und zu berücksichtigen. Wenn dabei auch im Auge behalten wird, dass gerade die Klein- und Mittelbetriebe, dass die zahllosen einzelnen Akteure und Repräsentant*innen – von Film, Schauspiel, Regie, Produktion, Gesang … bis zu den Autor*innen, Verleger*innen, Übersetzer*innen, Lektor*innen, Buchhandlungen bis hin zu den Berichterstatter*innen in Print-Medien und bei Funk und Fernsehen … und – die die vielfältige Kultur des Lebens repräsentieren, dass sie alle das unsichtbare Nervenkostüm der Gesellschaft sind und die Faszien, die diesen Körper am Leben erhalten. Es sind diese Menschen, die uns mit den Pfleger*innen, den Kassierer*innen, den Ärzt*innenteams und vielen anderen durch die Krise begleiten und uns aus dieser wieder herausführen werden. Sie sind es, die uns Hoffnung, Würde Achtung bieten, was wir auch an der neuen Art der Kommunikation in den Sprachen der bei uns und mit uns lebenden Menschen erfreut sehen. Diese Krise lässt den Anstand aufleben!

Viele von uns sind erstmals mit einer Lebenswirklichkeit konfrontiert, die sie, wenn überhaupt, nur aus Erzählungen unserer Eltern und Großeltern kennen. Wie oft wurde bei uns – vorwiegend in den Kindheitstagen – das Gespräch auf die unterschiedlichen Bedingungen des Überlebens, des Hungers und des Mangels bei Menschen in der Stadt und auf dem Land hingewiesen. Die einen mussten für alles und jedes zahlen, sie mussten es besorgen und wenn der Lebensmittelhandel zusammengebrochen ist, hatten sie nur auf die meist spärlichen Reserven in der Vorratskammer zurückgreifen können. Das reichte meist nur kurze Zeit und der knurrend Magen machte sich wohl immer lauter bemerkbar. Am Land gaben die Felder, die Wiesen und die Wälder Vorräte, die Speicher waren bei den Bauern und sogar bei den Keuschlern verhältnismäßig gut bestückt. Die Kunst, aus nichts noch was Schmackhaftes zu kochen, war noch allgegenwärtig und die Erfahrungen, wie mit Bedrohungen umzugehen ist, waren zeitnah und von den im Haushalt wohnenden wurden sie, ohne viel Worte, im Kochplan aufgenommen und serviert.

Heute kommen diese Gedanken verstärkt und es drängt einen, genauer auf die Erfahrungen unser Vorvorderen hinzusehen. Wie viele befragen wieder ihre Mütter nach Zubereitungsmethoden, oder greifen nach Kochbüchern, die darüber schreiben, wie aus Resteln gute Speisen entstehen.

Die Entschleunigung ist noch nicht angekommen. Ungläubig schaut man, was geschieht. Der Virus ist unsichtbar und wird von Tag zu Tag fast wie aus einer virtuellen Filmszene zur greifbaren Realität, und doch schenkt man ihm noch nicht, oder eher zähneknirschend, jene Aufmerksamkeit, die uns die Rot-Kreuz-Mitarbeiterin, der Gesundheitsminister, der Vizekanzler, der Kanzler und viele andere in ihren Bemühungen glaubhaft zu machen versuchen.

All diese Wirklichkeiten treten als unverstandene im Tagesverlauf in unsere chaotischen Versuche, das Leben zu organisieren. Ist man zu zweit, geht es noch leichter, wiewohl es auch zu einer Herausforderung werden kann – nebeneinander die Arbeit auf dem Wohnzimmertisch zu bestreiten, zu telefonieren, nachzudenken, zu schreiben. Wie anders und unvergleichlich herausfordernder wird das mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern.

Und irgendwann knurrt der Magen. Das Gasthaus, die Mensa, die Betriebsküche – sie alle sind zu. Die eingefrorenen Halbfertigspeisen sind bald aufgebraucht, die Vorräte im Kühlschrank bald verwelkt. Dort, wo eine Speis oder ein Keller noch weitere Vorräte bereithalten, beginnt die Frage nach der Zubereitung. Klopapier gegrillt oder flambiert ist jedenfalls eher eine trockene und unverdauliche Angelegenheit. Man muss selber kochen! Doch wie kommen heute die erforderlichen Dinge her? Es bilden sich Online-Initiativen, die helfen, die Lebensmittel, Arzneien und frisches Gemüse bringen. Innerhalb weniger Tage stehen Menschengruppen zueinander und unterstützen sich. Das freut, das bringt Hoffnung!

Und was kocht man mit dem, was vorhanden ist? Jetzt hat man die Zeit, putzt den Salat, schneidet die Zwiebel. Probiert Neues aus, wie ein vegetarisches Curry mit selbst zubereiteter Currypaste, nach dem „Mekong Food“-Buch von Michael Langoth (edition styria), und freut sich, dass es beim ersten Versuch gelingt.

Aber wie macht man ein Curry?

Die Herausforderung annehmen und alle Zutaten, soweit vorhanden, zusammentragen und beginnen: Zuerst zwei getrocknete Chilis in heißem Wasser einweichen. Ingwer, Zwiebel, 2 Knoblauchzehen klein hacken, im kleinen Mörser 2 Nelken, 1/2 TL Korianderkerne, ein wenig Kümmel und 1/2 TL schwarze Pfefferkörner mörsern und in den großen Mörser sieben, eine Messerspitze gemahlenen Zimt beifügen; gehackte Zwiebel, Ingwer und Knoblauch zu einer feinen Paste stampfen (man könnte es auch mit dem Zauberstab mixen, aber ich schwöre, den Unterschied merkt man), 1 EL Rohrzucker, einen guten Spritzer Tomatenmark, statt 2 TL Shrimps-Paste verwendete ich Shinjyo Miso-Paste aus getrocknetem Thunfisch, Sardinen, Makrelen, Sojabohnen, Seealgen; einen gehäuften EL gesalzene Erdnusspaste – in Ermangelung von Erdnussöl; zwei gepresste Galganttabletten aus der Hildegardapotheke, in Ermangelung von frischen Wurzeln. Alles fein gemörsert, mit einem starken Schuss Austernsauce verfeinert, und fertig war die Currypaste.

Paprikastücke einer Frucht werden mit gewürfelten Kartoffeln in Kocholivenöl angebraten, bis die Paprikahaut Farbe zu nehmen beginnt, und zur Seite gestellt.

In derselben Pfanne wird Kokosmilch (für zwei Personen reicht eine kleine Dose), in der zwei fein gehackte Limettenblätter baden und ihr Aroma abgeben, mit drei großen EL selbstgemachtem Curry aufgekocht. Jetzt kommen die angebratenen Paprikastücke und die Kartoffelwürfel dazu, zugleich Stücke von zwei mittleren Zucchini, drei getrocknete Champignons grob gehackt und eine kleine Faust gesalzener Cashewkerne oder Erdnüsse. Mit Chilipulver und Sojasauce, wenn gewünscht, abrunden und fertig ist das Ganze.

Der Basmatireis duftet nach Zwiebel, Nelken und Sehnsucht. Das Curry vermählt sich zu einem runden Geschmackserlebnis und verbreitet, in Zeiten wie diesen, Frohsinn, nicht nur auf der Zunge…

Reihe Europa Erlesen

Buch Im dreißigsten Jahr

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(Über)-Leben in Zeiten, wie diesen.
Teil 1, 16.3.2020 (einen Tag nach den Iden des März)

Am 10. März notierte ich folgende Zeilen:
„Ab heute bleit nichts mehr, wie es war. L. ordnete sein Leben. Bei der Seitentür schleicht sich, ‚unter dem Mantel der Tod herein‘, wie der slowenische Schriftsteller France Bevk 1929 die Ereignisse um die Pest 1348 in Friaul und Kärnten und die Quarantäne, die über Udine/Videm u.a. Städte verhängt wurde in seinem Roman ‘Znamenja na nebu’ (Zeichen am Himmel) beschreibt. Draußen erfreut sich die Menscheit der wärmenden Sonnenstrahlen Draußen erfreut sich die Menscheit der wärmenden Sonnenstrahlen. Von der Terasse winkt die mögliche, sorgenfreiere Zukunft. Zwei, sein Leben vereinfachende Ereignisse haben sich heute, glaubhaft, angekündigt und er erwartet deren Eintreten mit wohlwollender Skepsis. Soeben hat er erstmals registriert, dass er zu der 3-5 % Mortalitätsrate zählt und schützenswert wäre. Virologen bekommen erstmals in seinem Leben eine beachtenswerte Rolle eingeräumt. Sätze, wie diese lösen ein Nachsinnen aus: „Sie“ – die über 65 Jährigen – „haben noch nicht verstanden, dass sie die wirklich Betroffenen sind und dass ihr Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss.“ („https://web.de/magazine/gesundheit/virologe-christian-drosten-coronavirus-maximum-faelle-juni-august-34501948)

Bis gestern meinte er, es wäre eine Böhe, die das Land nur streifen würde. Seine Tochter meinte im Morgentelefonat, sie käme sich zunehmend eingesperrt vor, soetwas habe sie noch nicht erlebt. Ja, auch er kann sich in den sechseibhalb Jahrzehnten an so eine Lebenssituation nicht erinnern. Er blättert in seiner Erinnerung: Vogelgrippe, Tier-Skandal, Ölkriese 1974, Schweinepest, Ebola – nichts, was ihn abgehalten hätte, zu reisen, sich zu bewegen, sich uneingeschränkt auf alles zu freuen. 


Er ist ab jetzt gefährdet. Vom Virus und von der Klaustrophobie, die ihm schon so manches Ereignis zunichte gemacht hat. Von daher hat er für die neu entstandene Situation gute Voraussetzungen, von der eingeschränkten öffentlichen  Präsenz zu profitieren.“ (Ende der Notiz)


In den vergangenen sechs Tagen hat sich alles, von Tag zu Tag mehr, in einem Tempo gesteigert, entblöst und offenbart, dass er sich, nun, diese kurze Zeitspanne überblickend, wundert, mit welcher Gelassenheit er heute, zuhause sitzend, lesend, schreibend, nachdenkend, dem Ganzen begegnet.
Heute hat er mit seiner Frau ein kleines Mittagsmenü gekocht. In den Tiefen der Speis und des Gefrierschrankes offenbaren sich wahrhaftige Überraschungen.

Gehamstert haben sie in den letzten Tagen nicht. Nicht einmal Klopapier. (Hier verfällt er in Gedanken und findet sich in der Kindheit: Die ersten Jahre, winters wie sommers, gingen sie noch zum Herzen-Klo im Freien, hinter der Hütte, zwischen Hollerstrauch, Kompost- und Misthaufen, um sich zu erleichtern. In einer Holzschachtel waren – in postkartengröße – Zeitungsabschnitte vorbereitet, die er meist einmal die Woche aus alten, ausgelesenen Zeitungen, nicht Illustrierten, mit einem scharfen Küchenmesser zu zuschneiden hatte. In Ermangelung seiner Lesefähigkeit damals, hat er, mit großer Neugierde die Karrikaturen, grob gerasterte Bilder – grau in grau, meist verstümmelt, da zerschnitten – betrachtet und machte sich zum Spiel und zur Gewohnheit, sich auszudenken, wer am Bild fehlen würde oder was von der Karrikatur verloren gegangen sei und zeichnete diese im Geiste weiter…)


Ein paar Kleinigkeiten haben sie sich vor Tagen am Biomarkt besorgt: Den ersten Löwenzahn und frischen Bärlauch, aus der Nähe von Dravograd hatte ihn angelacht. Der junge Bauer erzählt, dass er den Bärlauch bei sich, auf 700 Meter angebaut hat und garantieren könne, dass keine Maiglöckchenblätter dabei wären („Dass, was uns mit dem Virus bevorsteht, reicht für einige Zeit“, meint er). Den Löwenzahn haben sie gleich am Samstag, am ersten Tag, an dem sie sich zurückzuziehen begonnen haben, zu Salat gemacht.


LÖWENZAHNSALAT. Wasche den Löwenzahn, lass aber die Wurzelteile dabei, da hier gute Bitterstoffe konzentriert sind, die zur Regulierung des Gallensaftes gute Arbeit machen, schneide alles recht fein; koche Kartoffeln, schäle die gekochten und schneide sie warm zum fein geschnittenen Salat; mariniere diesen mit einer Emulsion aus Knoblauchwasser (zerdrücke drei, vier Zehen, laß sie im Wasser 15 Minuten ziehen und gib das Knoblauchwasser zu Öl, Essig, Salz, Pfeffer, ein wenig Senf, wenn du willst und vermenge alles mitsammen). Oben drauf kommen geviertelte  gekochte, warme Eier. Ein Hochgenuß und ein Frühlungsimpuls für den nach Vitaminen und Abwehrstoffen sich sehnenden Körper. Der Löwenzahn wirkt positiv auf Galle, das Immunsystem u.v.a.m. Siehe: http://heilpflanzenwissen.at/pflanzen/der-lowenzahn/


Aus dem Bärlauch kochten wir am Sonntag einerseits eine cremige Suppe und heute den Spiegel für die Faschierten Labalan/Leibchen, serviert mit Bratkartoffeln und gemischten Salat.


BÄRLAUCHSUPPE. Dünste eine fein geschnittene Zwiebel glasig, gib gehackten Bärlauch und gestampfte Erdäpfel dazu, lass es ein, zwei Minuten wellen, lösche mit Gemüsefond (oder Gemüsepulver ohne Glutamat in heißem Wasser aufgelöst) gib einen guten Schuß Rahm dazu und mixe alles mit dem Zauberstab, schmecke es ab und serviere die Suppe mit geröstetem Weißbrot.


BÄRLAUCH FÜR DEN SPIEGEL. Zwiebel und Bärlauch angedünstet, wie bei der Suppe, gib jedoch eine Messerspitze Anis und eine halbe Messerspitze gemahlenen Zimt dazu, (gibt eine geheimnisvolle Note, erhöht den Geschmack und stärkt Verdauung und Immunsystem). Eine zerdrückte, gekochte Kartoffel (war noch vom Vortag, vom Löwenzahnsalat übrig, bindet die Suppe). Mit Gemüsefond kurz aufkochen, mit einem viertel Liter Rahm eindicken und alles gut mixen. Die Creme als Spiegel zu den Bratkartoffeln und dem Faschierten reichen. Kartoffel vom Vortag eignen sich zum Anbraten in Butter oder Butterschmalz besser. Auch ist Butter oder Butterschmalz in diesem Fall aromatischer als Olivenöl oder ein anderes pflanzliche Öl.

Lässt man das Faschierte weg, bietet diese Kombination eine wunderbare vegetarische Hauptspeise!


FASCHIERTE LABALAN / LEIBCHEN. Der Gefrierschrank gab das wunderbare Biofaschierte vom Lamm heraus. Aufgetaut, mit drei alten Weißbrotschnitten, in Milch und verquirreltem Ei eingeweicht und mit dem Faschierten vermengt, mit einer guten Idee Tymian und mit etwas weniger Rosmarin, Salz und Pfeffer vermengt, wird das Fleisch mit aus Weißbrotresten selbst geriebenen Semmelbröseln gebunden, zu Labalan geformt und in Butterschnalz gebraten und serviert.


Als Nachspeise reichten wir je acht gedörrte Zwetschgen und drei Datteln. Beides Früchte, die das Immunsystem und den Stoffwechsel anregen. Gut, damit sich Giftstoffe nicht zu lange im Körper aufhalten. Der verdünnte Saft aus Kornellkirschen/Dirndeln gleicht durch seine feine süß-saure Anmutung den Appetit auf den Wein aus und wirkt zugleich magenfreundlich.


Als Lektüre liegt die kleine Geschichte von Tantadruj von Ciril Kosmač bereit. Eine berührende Geschichte über den mit vierzig Kuglocken behangenen jungen Mann, der, von seinen Freunden begleitet, das Glück sucht, den Tod als Erlösung anstrebt und bei beiden scheitert.„Diese, an der Grenze von Tragik und bizarrer Komik, von lyrischer Zuversicht und stillem Pathos erzählte Novelle, ein philosophisches Kunstmärchen“, schreibt Karl-Markus Gauß
https://www.wieser-verlag.com/buch/tantadruj/

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Virus und Kultur

Der Wieser Verlag und der Drava Verlag werden durch Newsletter, über den Blog, durch digitale Verkaufsaktionen und viele andere Aktivitäten vom Büro und von zuhause aus so weit wie möglich gegen den Ausfall der öffentlichen Auftritte wie Leipziger Buchmesse, Lesungen und andere Einschränkungen gegensteuern. Das wird die entgangenen Umsätze und entstandenen Verluste nicht auffangen, es wird aber Hoffnung und literarische Haltegriffe bieten. In Zeiten wie diesen sind gerade die unentbehrlich!

Wir nehmen ernst, was der Gesundheitsminister sagt, und tragen solidarisch dazu bei, die Verbreitung des Virus einzuschränken, Zeit zur Bekämpfung zu gewinnen und uns und die Leserschaft zu schützen.

Wir starten keine Scheinaktivitäten, nur um einen „Beitrag zum poetischen Widerstand gegen die gegenwärtigen biopolitischen Verhältnisse“ zu leisten, was bei genauer Betrachtung scheinradikal ist, da es die Gegebenheiten nicht nur negiert und unterschätzt, sondern statt solidarisch zu sein, sich und die Umwelt aus Trotz und vielleicht Überschätzung in Gefahr bringt.

Man muss kein Mathematiker sein, um den Unterschied zwischen linearem und exponentiellem Wachstum zu verstehen. Wie immer kann uns eine Erzählung dabei helfen, es besser zu begreifen: Es geht um die Geschichte vom Reiskorn und seiner Vermehrung auf dem Schachbrett (nachzulesen hier: https://meinstein.ch/math/reis-auf-dem-schachbrett/). Ja, Literatur kann viel.

Wir werden – wie viele andere – nicht in Panik ausbrechen und diese schwierige Zeit nützen, um über grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens und des solidarischen Überlebens nachdenken. Hier sind das für uns zuständige Kulturministerium, aber auch die Kulturabteilungen der Länder und der Gemeinden gefordert.

Wir sollten dabei die Sorgen ernst nehmen, die das gesamte komplexe gesellschaftliche Werk von Gemeinsamkeit, Wirtschaft, Kultur, Emotion, Glaube und Hoffnung in den Grundfesten erschüttert.

Wir sind erstmals – zumindest unsere Generation – mit dieser Komplexität an Grundsatzfragen konfrontiert und müssen rasch lernen. Dabei wird zu beachten sein, dass wir niemanden zurücklassen, ausstoßen oder gering schätzen.

Fragen treten massiv in den Vordergrund: Wie wird die Wirtschaft überleben, wie der Tourismus, wie der Handel, wie die Kunst und Kultur – es entstehen existenzbedrohende Situationen.

Hand in Hand mit dem Zurückdrängen der viralen Bedrohung wird die Hilfe für alle Branchen, Künstler und Künstlerinnen, Autoren und Autorinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen, Verlage, Buchhandlungen und, und, und … unerlässlich sein.

Geist und Kultur sind die Faszien des gesellschaftlichen Körpers, deren Funktionieren in der Folge über die Zukunft dieser Gesellschaft entscheiden wird.

Seit gestern, dem 10. März, ist nichts mehr, wie es war.

Solitär und Solidär. Einsam und Solidarisch. Das derzeit erforderliche und vermehrte Einsame wird zum Gemeinsamen, kann uns zusammenwachsen lassen und die auf uns zustürmenden Ereignisse meistern helfen.

Dabei ist Kultur Heilmittel, stärkt die Immunität und wirkt gut gegen Verrohung und Vereinsamung.

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Leipzig, das Wohnzimmer bleibt geschlossen. Wir lesen weiter! Jetzt erst recht!

Wie wahr, es ist eine große Katastrophe. Das Wohnzimmer der Bücher in Leipzig wurde heute, aus verständlichen Gründen, geschlossen. Die Arbeit von Direktor Zille und seinem Team, die Bemühungen der Verlage, das Lesensenwerteste mit nach Leipzig zu bringen und es mit Autorinnen und Rezensenten, Bloggern und Radiomenschen, Leserinnen und Schlenderern, Übersetzern und Sucherinnen, mit Kulturmenschen und  Statssäkreterinnen, sowie Freunden beim Glas Wein und einem Blatt Pršut zu begrüßen, zu befeiern und aus der Taufe zu heben und die neue Ernte unter die Leserschaft zu schicken, ist dieses Jahr dem Virus zum Opfer gefallen. Es ist schade! 

Allein bei Drava und Wieser gäbe es so viel zu sehen, zu bereden… Mit Markéta Pilátova wollten wir im Dschungel Bat’as Schuhe finden und Wolf Oschlies hatte in einem Enzyklopädieband Beiträge zur Kulturgeschichte Makedonien eingepackt; mit Jerneja Jezernik ziehen wir mit Alma Karlin um die Welt und tauchen in ihr Leben ein; mein 3. Band Geschmack Europas kommt grad rechtzeitig zum Start der 3sat Sendereihe „Esskultur“, in der ab 5. März wöchentlich alle 24 Filme gezeigt werden; aus Quebec war Michel Jean mit Amun zu uns nach Europa unterwegs, wo uns Killisch-Horn in seiner Übertragung zu den indigenen Erzählern geleitet; im Rucksack waren Klassiker der slowenischen Erzählkunst, neu ediert bei Wieser+Drava+ZTT/EST; Sama Maani privoziert und Savić geht mit einem Narrenschiff auf große Fahrt, in einer Zeit, in der man eher meint, auf B.Travens Totenschiff gelandet zu sein….

Struhar, Goranović, Widner, Handke, Ramnek, Staudinger, Brauner, Kerschbaumer, Pevny – sie alle ziehen mit uns, Derndorfers Mythen kommen nackt und unverblühmt daher, Verena Schellander spannt schöne Schirme auf, um uns zu behüten, das Autoren-Ehepaar Dippelreiter macht uns Mut, die Wut kommt uns bei Groß/Drobesch’s Buch, wenn wir die Zeitzeugen des Populismus lesen und wir Wundern uns nicht, wenn uns Wolfgang Geier seine kulturhistorische Skizzen aus Südosteuropa vorlegt.

Leipzigs Lesezeichen sind ob der Absage der Messe ins virtuelle Dorf gezogen. Wir, von Drava und Wieser waren nicht untätig und wir werden diese Tage nutzen, um Ihnen allen die gewünschten Bücher zukommen zu lassen – damit Sie sie in Zeiten wie diesen lesen und besprechen, über sie reden und sich und anderen Freude machen. 

Blättern, finden, lesen! Neues Lesen wird geboren!
Listaj, najdi, beri! Novo branje se rojeva!

www.wieser-verlag.com/verlag/kataloge/

www.drava.at/verlag/kataloge/

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Der Geschmack Europas 3sat bringt alle 24 Folgen

Das hat schon was! 

Ab 5. März widmet 3sat der Reihe „Der Geschmack Europas“ und seinen bisherigen 24 Folgen einen wöchentlichen Sendeplatz – unter dem Titel „Esskulturen“! Genießt!

To je kar imenitno! Od 5. marca posveti 3sat dokumentarcu o „Okusih Evrope“ kar 24 oddaj – pod naslovom „Kultura jedi“.Tukaj pregled. Uživajte! In: Kras in Brda zavzameta štartno pozicijo! (Vprašam se že dolgo, kdaj bodo pri RTVju spoznali vrednoto teh oddaj tudi za Slovence…)


Die jeweiligen Folgen werden ab 5.März bis in den September wöchentlich Donnerstags um 11:45 Uhr auf dem Sende-Platz „Esskulturen“ gezeigt.

Hier der Link zur ersten Folge: https://www.3sat.de/kultur/esskulturen/der-geschmack-europas-der-slowenische-karst-102.html

Literatur zum erweiterndem Lesen:

Wieser, Lojze (Text); Senegacnik, Heribert; Gebauer, Florian u. a. (Fotos):

Der Geschmack Europas.
Band 1: Die ersten Stationen, Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2017.
Band 2: Weitere Stationen, Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2018.
Band 3: Zehn weitere Stationen, Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2019.

Wieser, Lojze: Kochen unter anderen Sternen: Geschichten von entlegenen Speisen. Wien: Czernin, 2007.


Wieser, Lojze; Wagner, Christoph; Maier, Barbara: Geschmacksverwandtschaften: Eine kleine europäische Speisefibel mit Rezepten. Europa Leben. Klagenfurt-Celovec/Wieser: Wieser, 2009

Wieser, Lojze; Geschmackshochzeit / Il matrimonio del gusto / Svatba okusov. 

Die Vermählung von Alpen und Adria / L’unione di Alpi e Adria / Poroka Alp in Jadrana. Klagenfurt-Celovec/Wieser: Wieser, 2019

Barbara Maier / Lojze Wieser; Pita, Burek oder Börek? Balkan-Impressionen. Klagenfurt-Celovec/Wieser: Wieser, 2008

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Muttersprachen und Vatersprachen

Es ist gut 20 Jahre her, seit wir im Rahmen der Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens (WEEO) mit dem Lexikon der Sprachen begonnen haben.
„Mit der Hilfe von Barbara Maier, Feliks J. Bister, Wolfgang Geier und Günther Hödl gelang der erste große Schritt zur Realisierungder Enzyklopädie. Wir organisierten eine große wissenschaftlicheTagung auf der Burg Schlaining und gaben den Startschuss zur Enzyklopädie. Wir haben uns gemeinsam entschlossen, als erstes ein Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens vorzulegen. DieArbeit daran, mit einer Vielzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wurde unter der Leitung des Slawisten Miloš Okuka (München/Sarajevo) durchgeführt und zeitigte kaum zweieinhalb Jahre später einen tausendseitigen Band, in dem 100 lebende und 16 ausgestorbene Sprachen im europäischen Osten umfassend – wissenschaftlich, semantisch, grammatikalisch, literarisch – nachgewiesen und beschrieben wurden. Die Erkenntnis, wie viele Sprachen im europäischen Osten tatsächlich gesprochen werden, hat uns alle überrascht und führte uns die Heterogenität des europäischen Ostens vor Augen. Diese Erkenntnis, die später mit der Herausgabe des Lexikons der Sprachen des europäischen Westens vervollständigt wurde, machte uns erstmals empirisch sichtbar und nachvollziehbar, wiebunt und reich Europa ist, werden doch, auf so engem Raum, in weniger als 50 Staaten gut 200 autochthone und 200 zugewanderte Sprachen gesprochen und gelebt.“ 

Aus: Lojze Wieser: Im dreißigsten Jahr. Wieser, Klagenfurt/Celovec 2017, S. 291-292.


In diesen Tagen gedenken wir – vereinzelt – den Tag der Muttersprachen. Mittlerweile wissen wir, dass es auch der Tag der Vatersprachen ist, seit die Zahl der gemischten und Pečwork-Familien rasant wächst. 
Wir befinden uns mitten im Umbruch. (Wann nicht?). Die Menschen sind in Bewegung, Kriege, Krisen und Ausgrenzungen, Hass und Unverständnis sind alltägliche Begleiter. Angst um den kleinen Vorteil, den man sich aufgebaut hat, droht zu versanden. Gründe und Schuldige werden gesucht. Privilegien werden mit Zähnen und Klauen verteidigt, Staatsführer und Kanzler der wohlhabenderen Ländern glauben, dass durch Ausgrenzung, Schließung von Grenzen, durch den Zusammenschluss von Nettozahlern ihr priviligierter Reichtum unsere Katastrophen von uns fern halten kann und werden nicht müde, uns zu erzählen, dass durch unsere Hilfe in Not geratenen Menschen den hiesigen Menschen ihr Erspartes – und den reichen Ländern – das Staatsgold klauen wollen. Am liebsten wäre es ihnen, sie würden anderswohin gehen, wo „sie eine Arbeit finden“ und nicht dorthin wo – angeblich –  „die Sozialhilfe am höchsten ist“, so die österreichische Integrationsministerin Raab via Twitter. Dieser Auspruch wird heutzutage von zahllosen Regierungen verbreitet. Die Menschen sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst, ist der Grundton; die gegenseitige Hilfe, die Solidarität, die Fürsorge – verkommene Worte, ausrangiert, verpönt. Fremd. 


Fremd, wie die Sprachen, die den Menschen ihr innerer Halt sind, die Heimat, die Kraft, die Literatur, die Lied, Freude und Tränen sind, die Verständnis und Liebe in sich tragen. Man nahm in den letzten 50 Jahren den Hergekommenen die Sprache. Gerufen wurden sie „Gastarbeiter“ – aus heutiger politischer Praxis ist der damit einhergehende Zynismus in seiner ganzen Verachtung mehr als schmerzhaft und zeigt die Überheblichkeit, die damit vor sich hergetragen wird und die die Keimzelle des Herrenmenschen weitertransportiert und wachsende Basis der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft ist, wie sie Hanau zuletzt offenbarte. 


Man hat in der Vergangengeit breit und großzügig darauf verzichtet, den Menschen die aktive Integration durch Zusammenfassung der Information in den Medien, oder durch Untertitelung in ihren Sprachen, zu erleichtern; man hat bewußt und geschäftstüchtig ihre Lage genutzt und ihnen durch überteuerte und desolate Wohnmöglichkeiten den Weg in entlegene Stadtbezirke gewiesen, die ihnen später als „Jugo-Zentren“, europäische „Chinatowns“, zum Vorwurf gemacht wurden. 
Dann kamen über „uns“ die Flüchtlinge. Über Ursachen, warum diese Menschen ihre Länder verlassen mußten und müssen, wer ihnen Entwicklungshilfe und ihren Regierungen Waffen und Panzer verkaufte, und wer ihnen ihren zuhause erworbenen Wohlstand zerstört hat, wird in der Regel wohlweislich geschwiegen. 
Aber, da bis in die höchsten politischen Kreise die Unterstellung Basis des Handelns ist (Erinnern wir uns – sie sollen dorthin gehen, wo „sie eine Arbeit finden“ und nicht dorthin „wo die Sozialhilfe am höchsten ist“) ist es nur auch logisch, dass die politische Ausgrenzung bei und mit der Sprache ihre Fortsetzung findet: dem Anschein nach kommt die Forderung des Erlernens der hiesigen Sprache wie eine warmherzige Fürsorge daher – sie „sollen sich ja integrieren“ können –  drum müssen sie die hiesige Sprache – klar doch, vordringlich – erlernen und die eigene vergessen, nach Möglichkeit, auch untereinander nicht sprechen; nur so würden sie sich schneller bei uns eingliedern und uns ebenbürtig sein. 


Vergessen, dass die Medien, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen u.v.a.m über Jahrzehnte nichts oder bedauerlich wenig gemacht haben, dass die arbeitenden Gäste auch mitbekommen, worüber wir streiten, feilschen und reden, geschweige, dass wir sie eingeladen haben, mitzureden und, gar nicht zu reden davon, dass wir uns auch ein wenig von ihren Sprachen und Kulturen und Geschichten angeeignet hätten. Wir haben diese unsere Versäumnisse gleich auf den neu zu uns gekommenen Menschen „korrigiert“ – „Der, der nicht Deutsch spricht, soll zuhause bleiben“ und haben gleich einmal beschlossen – „Ohne Deutsch, keine Arbeit“ und kürzten sogleich auch – und vorsichtshalber – einmal die Mittel für die Sprachkurse. So, zur Strafe, um ungezogenen Kindern von vornherein zu zeigen, wer Herr im Haus ist! 


Dabei haben wir uns noch garnicht vergewissert, was die neuesten Hirnforschungen und soziologischen Erfahrungen von positiven Möglichkeiten zu berichten wissen: Wenn Menschen ihre eigene Sprache gut beherrschen, dann lernen sie die Sprache der Nachbarn auch wesentlich schneller. Nimmt man ihnen ihre erste Sprache, verstummen sie. (In Kärnten gibt es den Begriff des „Potukel“, des „Windischen Potukels“, wenn es noch deutlicher gesagt werden sollte. Der Begriff wird vom slowenischen Wort „potuhniti se“, sich ducken, abgeleitet.) 
Dabei sind eigentlich nur einige wenige und kostengünstige Maßnahmen erforderlich, um die Präsenz der Sprachen im öffentlichen Raum zu gewährleisten – im Fernsehen, im Radio, in den Zeitungen und den sozialen Medien Untertitelungen und Zusamnenfassung einführen;  Sprachkurse in den Fabriken, Unternehmen, bei Kammern und Gewerkschaften während der Arbeitszeit durchführen…  
Gerade auch unsere hundertjährigen Versäumnisse und positiven Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lehren uns ein einfaches Gebot: Kannst du die Sprache des Nachbarn, kannst du mit ihm reden, dich in seiner und deiner Welt bewegen. 


Die Sprache gibt die Möglichkeit, sich groß zu denken und frei zu handeln. „Es ist alles viel größer und schöner,  als man sich das vorstellen kann (…) was  da an Märchenhaftigkeit und zugleich Wahrhaftigkeit auf einen zukommen kann“ sagte Peter Handke vor Kurzem. Die Müttersprachen und die Vätersprachen lassen uns ICH sein und vieltönig der märchenhaften Welterzählung lauschen.

Literaturhinweis

Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens und Westens

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Gelungener Abend

Wie es Glückstage gibt, gibt es auch gelungene Abende. Ein derartiger war gestern, als Bundespräsident Alexander Van der Bellen Peter Handke, anlässlich des Nobelpreises für Literatur, zu sich in die Hofburg lud. Im Kreis von Freunden und Vertreterinnen und Vertreter der Kultur – von Politik bis zur Literatur.

Van der Bellen würdigt ihn – „mit Hemmungen“, wie er sagt, er sei „Ökonom und kein Literaturkritiker. Bei Musil hätte er keine Hemmungen“. Peter Handke redet dazwischen, wie gewohnt: „Dann legen Sie auch bei mir die Hemmungen ab!“. Handke murmelt, mehr für sich, doch für alle hörbar, dass es schön wäre, wenn von den Anwesenden auch noch der Eine oder die Andere was sagen würde …

Martin Kušej eröffnet den Reigen, erzählt vom Kennenlernen und von neuen Stücken, die im Burgtheater kommen werden und reicht die Stafette an mich weiter. Ich erzähle vom Pilznarren, wie sich Handke in einer Widmung vor Kurzem selbst nannte, wie er unter die Blätter und hinter die Worte schaut und vom Hexenei; Maja Haderlap weiß zu berichten, dass ihr Onkel Anton, der Förster, Handke erzählte, warum die Partisanen keine Pilze aßen, Handke wirft ein, dass diese Geschichte ins Stück Immer noch Sturm eingang fand; Johanna Rachinger erinnert sich, wie sie als Jugendliche im katholischen Zirkel Handke lasen und mit Worten aus der Publikumsbeschimpfung für Irritationen im Dorf sorgen; Heinz Fischer, unser HBP i. R., weiß um die Bemühungen vor gut einem Jahrzehnt, Handke nach Österreich zu holen, Jochen Jung wirbt für das neue Buch Das zweite Schwert und Martin Schwab, der große Kammerschauspieler, erinnert sich an Gregor im Stück Über die Dörfer, den er gab und die Furcht die er durchmachte, wie es der Autor wohl aufnehmen würde und Martin Schwab ist es, der die Stafette an Peter Handke weiter gibt. Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung hat sich noch in der Nacht die Mühe gemacht, Handkes Tischrede zu transkribieren. Hier im Wortlaut:

„Es ist alles viel größer und schöner als man sich das vorstellen kann, was man tun kann als kleiner Mensch aus einem Winkel in Österreich. Was da an Märchenhaftigkeit und zugleich an Wahrhaftigkeit auf einen zukommen kann. Das kommt auch von Euch und von den Abwesenden, vor allem von den Abwesenden, vielleicht noch mehr als von Euch, von den Abwesenden, die einzeln das Volk bilden und nicht das Volk als Kette darstellen.
 
Meine erste große Sensation war: Ich habe gedacht, Österreich, ich beschließe, dass ich aus einem großen Land bin. Ich lass mir das nicht bieten, dass die Leute sagen, es ist ein kleines Land. Ich hab beschlossen, ich stamme aus einem großen Land, und so schreibe ich. Es muss nicht Russland sein. Es muss nicht die Steppe sein, aber es ist auch die Steppe. Und es ist der Ural. Auch in Österreich ist der Ural. Zum Beispiel die Saualpe, an deren Fuß ich geboren bin, in Stara Vas, in Altenmarkt, in Griffen, das ist die Saualpe, die von Norden bis nach Griffen und Diex reicht, das ist ein Kontinent für mich.

Das macht meinen fruchtbaren Größenwahn aus, den ich hatte und immer noch habe und den ich jedem von Euch wünsche. Dass ich gedacht habe: Ich stamme aus Alaska, aus Arizona, vom Ufer des Yukon River, der ins Beringmeer mündet, weiß der Teufel, da kommen wir alle her, aber zugleich kommen wir aus Österreich. Jeder hat präzis seinen Winkel. Rechte Winkel, schiefe Winkel. Nur die Kunst hat Winkel, die 360 Grad haben. Die umfassen die Erde.

Wir haben gewaltige Schriftsteller. Gewaltige Künstler. Nicht nur Stifter. Nicht nur Grillparzer. Wir sind alle fragliche Gestalten, Grillparzer war eine fragliche Gestalt. Stifter, Gott sei Dank eine fragliche Gestalt, Hofmannsthal, Schnitzler, Lavant, Bachmann, Jonke, endlos ist die Litanei. Gewaltig, was wir sind. Nicht wir! Was die Leute sind, das kommt von den Leuten her. Die Leute, die hier gelebt haben, die den Widerstand gemacht haben, die das Land bearbeitet haben und im Land vergraben sind: Das sind unsere Helden.

Ich will Österreich kein Loblied singen. Aber ohne diesen Wahn, den ich hatte, dass ich aus einem großen Land stamme, wäre ich nichts, wären wir alle nichts. Sie nicht, ich nicht. Auch die Skispringer gehören dazu. Alle. So, und jetzt lasst mich in Ruhe!

Literaturhinweis

Sonderedition zum Nobelpreis für Literatur 2019 im Wieser Verlag

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An einem Tag wie diesem

Es begann im Frühjahr vor 23 Jahren, an einem Tag wie diesem. Im Herbst 1997 erschienen die ersten Bände der Reihe Europa Erlesen zur Frankfurter Buchmesse. In meinem Buch Im dreißigsten Jahr habe ich dazu folgendes geschrieben:

Der Hinweis vom Diogenes-Verleger Rudolf C. Bettschart im Frühjahr 1997, als ich ihn in Zürich besuchte, gab den Ausschlag, an die Umsetzung der Idee in der nun als Europa erlesen vorliegenden Form zu gehen. Er meinte damals, als er sich meine Überlegungen anhörte und die Muster begutachtete – die unsere Druckerei als Maquetten vorlegte und mit denen ich auf einer zehntägigen Rundreise durch Österreich, Deutschland, die Schweiz und Slowenien Buchhändler, Journalistinnen und Brancheninsider befragte – dass wir für billig gemachte Bücher zu arm seien; ich solle lieber einen edel gestalteten Band machen, so im Wert eines schönes Blumenstraußes, den man seiner Frau oder Geliebten bringe. So standen mein Freund Schmid und Bettschart mit ihren Ratschlägen an der Wiege der Reihe Europa erlesen. Sie redeten mir gut zu und halfen, den Verlag wieder aus der schwierigen Situation zu manövrieren.


Aus: Lojze Wieser: Im dreißigsten Jahr. Wieser, Klagenfurt/Celovec 2017, S. 87.

Aktuell halten wir bei 230 Bänden und machen weiter – mithilfe kundiger Herausgeberinnen und Herausgeber.

Der erzählerische Hauptstrang führte uns unter anderem nach Albanien, in die Bačka, ins Collio/Goriška Brda und die Donau entlang bis zu ihrem Delta; wir lauschten dem Echo des Jahrhunderts in Georgien, in Istrien, auf dem Karst und in der Lausitz; wir bummelten durch Moskau, Niš, Odessa, Plovdiv, Riga und Salzburg; wir kehrten in der Steiermark/Štajerska ein, durchstreiften die Terra Bosna und die Vojvodina; zogen entlang der Wolga bis Zentralasien, schauten auch in Zürich vorbei. Wir ließen den Hauptfluss speißende Nebenstränge und Reihen entspringen, kleinen Flüssen und Bächlein gleich: besuchten Literaturschauplätze, schritten den Limes ab, zogen mit den Donnerstagsdemonstranten auf die Wiener Wandertage; schauten, wie der Wind in Georgien weht, machten uns als Ausländer nach Belgrad auf, erzählten uns politische Witze aus Osteuropa und lasen Krims Märchen, gingen mit Joseph Roth auf Reisen und besuchten Slataper in seinen Karstdolinen; fuhren im Takt durch die Schweiz und lasen zwischen Fels und Nebel europäische Lyrik – in gut dreißig Sprachen. Wir brachen mit dem Frauendienst und den Fabliaux ins gar nicht dunkle Mittelalter auf, lasen erneut die fein gleitenden Verse von Eschenbachs Parzival (wie sie einzig Franz V. Spechtler zu übertragen wusste) und fragten den Ackermann von Böhmen, Tkadleček, Walther von der Vogelweide und Willehalm, ob sie eine Antwort auf Parzivals Frage „Mensch, wer bist du?“ hätten. 

Wir begannen die blinden Flecken zu erkunden und wussten, wir müssen Europa leben – und kochten mit Rezepten aus der ungarischen Arme-Leute-Küche, befragten Santonino nach einer ordentlichen mittelalterlichen Kost, kehrten bei der slowenischen Köchin mitte des 19. Jahrhunderts ein, die uns auf die Connaisseure der dalmatinischen Küche verwies, und fanden in den Geschmacksverwandtschaften das Kochbuch für zukünftige Millionäre …

Wir blickten über den europäischen Tellerrand hinaus, in den Orient und nach China, schauten auch nach New York, reisten nach Hong Kong und besuchten eine Reihe von Kulturhauptstädten.* Zuletzt blieben wir – erschüttert – in Reka/Rijeka/Fiume in Gedanken versunken, da gerade hier Gerhard M. Dienes, nachdem er uns den Rijeka-Band** zum Druck reichte, sich aufmachte, seine letzte, lange Reise anzutreten. 

Mir bleibt nur, ihm nachzurufen: Reise gut, mein Freund, wir werden ein wenig noch weiterziehen, bevor wir dir folgen. Bis dahin lesen wir weiter, versprochen! 

Dein Verleger

Lojze

*) Amsterdam, Athen, Bergen, Brüssel, Cork, Dublin, Graz, Helsinki, Hermannstadt, Kopenhagen, Krakau, Linz, Liverpool, Paris, Plovdiv, Porto, Riga, Rijeka, Stockholm, Tallinn, Vilnius, Weimar.

**) Gerhard M. Dienes, Ervin Dubrović, Marijana Erstić & Gero Fischer (Hrsg.): Europa Erlesen Rijeka. Wieser, Klagenfurt/Celovec 2020.

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Wenn der Nobelpreisträger zu Besuch kommt

Es gibt seltene Glückstage, wo Freude und Erinnerung zueinander finden. Solche waren der 11. und der gestrige 12. Februar. Der Tag war schön, die Sonne wärmte, die Menschen zog es in die Sonne. Und ich hatte Besuch. Peter Handke, der Nobelpreisträger, war vorbei gekommen.

 Am Morgen war er zu Fuß bis Maria Loretto gegangen. Ein schöner Ort, wir sollten, meint er später, dorthin mit Valentin und Barbara zu Mittag eine Suppe oder eine Kleinigkeit essen gehen. Wir brechen auf, doch hat das Restaurant geschlossen. Ferien. 

Ankunft

Er bittet Barbara, von uns beiden ein Foto zu machen. Es werden einige sehr schöne Bilder. Wir stapfen zum Schloss hinauf, da gibt es aber nur Toast u entschließen uns, ins naheliegende Restaurant Lido zu fahren. Barbara reserviert. In diesem Moment kommt der einzige Gast vom Schloss und fragt, ob er „Herr Handke“ sei und ob er mit ihm ein Selfie machen dürfe: „Das glaubt mir keiner! Das glaubt niemand!“ Glücklich geht er zurück ins Cafe im Schloss. 

Handke ist entspannt, fröhlich, hört zu, fragt, denkt über die Jugend, die Mutter nach, zeigt das neueste Buch, dass noch nicht ausgeliefert ist, wo er darüber erzählt, dass vor Jahrzehnten eine Frau seine Mutter beleidigt, sinnt nach Rache“…und der Schluss ist ganz anders, als man glauben würde“; fragt nach unserer Mutter, die gestern vor fünf Jahren gestorben ist; blättert im Büchlein, dass ich ihm mitgebracht habe, geschrieben unmittelbar nach ihrem Tod, nur für die Familie – „Mit klarem Blick hingehen, an den Rand oder Die Erinnerung ist das einzige Paradies / Kako bo, ko te bo obdajala tema ali Spomin je edini paradiž“ – steckt es ein, wird es lesen, spricht über die Erinnerung als einziges Paradies und dass es von Jean Paul sei und ergänzt: „…aus dem wir nicht vertrieben werden können.“

Zu viert schlendern wir über den Park zu den parkenden Autos, umarmen uns, und ziehen weiter. Zufriedenheit und schöne Gedanken bleiben mit uns.

Literaturhinweis

Sonderedition zum Nobelpreis für Literatur 2019 im Wieser Verlag

Fotos: Barbara Maier (3); Lojze W.(1) 2020

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Culinaire L’Evrope 2

LETTRE CULINAIRE 2
Lojze Wieser

Tscholent – Ritschert – Ričat
Eine der Erklärungsvarianten des Ritscherts meint, dass es eine Abwandlung der jüdischen Speise Tscholent sei (siehe auch Rolf Schwendter: „Bemerkenswert ist die Konstellation von Tscholent, Kugel und Zimmes: in viel Fett langsam gar geschmorte Sabbatspeisen, die am Vorabend in den Bäckerofen gestellt wurden. Der Tscholent, vom altfranzösischen »chauld« (Wärme) herkommend, ist hierbei eine Kombination aus Eintopf und Auflauf, kombiniert aus Fleisch (oft Geflügel), Hülsenfrüchten, Graupen und Gewürzen.“)
Marcel Ihnačák aus Mikulov/Nikolsburg in Mähren bereitet „die Himmelsspeise, die der liebe Herrgott selber einst den Moses kochen lehrte“ – wie Heinrich Heine schrieb – den Tscholent, Schalet oder Scholent – zu. Ihn zu kochen wäre eine Glaubensfrage, die sich von Region zu Region unterscheidet. Und wie der Ursprung des Gerichts ist auch die Zubereitung vielfältig: Soll er auf dem Herd oder im Backofen oder beim Bäcker im Gemeinschaftsofen gemacht werden?
„Ich denke, Tscholent ist eine der typischsten jüdischen Speisen, weil es eine Speise ist, die immer am Schabbat gegessen wird. Das bedeutet, dass am Freitagmorgen alles vorbereitet wird. Freitagmittag beginnt dann der Schabbat, der bis zum Samstagabend dauert. Es ist eine Speise, die im warmen Backrohr fertig gegart wird, weil in dieser Zeit nicht gearbeitet und gekocht werden darf. Aufgrund des Schabbats wurde Tscholent wahrscheinlich so eine typische Speise“, erläutert Marcel Ihnačák. Der Tscholent knüpft sowohl an mediterrane Kochtraditionen als auch an tausendjährige alpine Zutaten an, die ähnliche Gerichte wie den Ritschert/Ričat hervorbrachten, wie Rolf Schwendter in Arme essen – Reiche speisen schreibt. Und: Je nach Glauben wird anderes Fleisch verwendet …

Je nach Ortsveränderung fand statt Gänse- oder Entenfleisch nun auch Schweinefleisch in den Suppentopf, wobei zuerst nur die Fleischsuppe, aus Geräuchertem gekocht, da es eine Winterspeise war, mit Brein (Hirse) und später mit Rollgerste verfeinert wurde (siehe auch: Kugler/Maier, Santoninos Kost, S. 45: Fleischsuppe mit Gerste).
Die geräucherten Fleischteile gaben der Suppe auch ihren typischen Geschmack. Die karster Jota, mit dem Knochen des Pršut und der Zugabe von Kraut, Bohnen und Kartoffeln, ist wohl auch eine weitere Abwandlung, die den Gegebenheiten der Zeit, der Region, des Anbaues usw. Rechnung trug, indem verarbeitet wurde, was die Natur hergab und was gerade vorhanden war. Unsere Mutter gab zum Beispiel den Wiesensalbei dazu, damit bekam die Suppe einen feinen gelben Stich, erinnerte an Safran und hat nicht so intensiv nach Salbei geschmeckt, wie wenn sie den Gartensalbei beigefügt hätte.
Orzoto wird die Speise in Dalmatien genannt, wo sie sehr ähnlich mit Hühnerfleisch und Weißwein zubereitet wird, und sich wieder dem Tscholent annähert.
Da der Ritschert/Ričat auch in slowenischen Gefängnissen eine beliebte Speise war, gibt es auch die Deutung, der Name würde von rešet oder rešetke (Gitter, Häfen) kommen.
Jedenfalls ist es eine Speise, die in großen Mengen nahrhaft zuzubereiten ist, also eine typische Armeleuteküche, wo alle Teile, auch die schon hart gewordenen, oft stundenlang weichgekocht und so genießbar werden. Man ließ nichts verkommen, es musste alles Verwendung finden und gegessen werden.
Im Karst erzählt man, dass der Knochen des alten Pršut bis zu viermal ausgekocht, von Haus zu Haus weitergereicht und zu immer lichteren Suppen verkocht wurde. Je ärmer die Gegend, umso mehr wurde die Phantasie der Köchinnen herausgefordert. Im Friaul heißt sie dann Minestra di orzo e fagioli.

Literatur:
Wieser, Lojze: Kochen unter anderen Sternen: Geschichten von entlegenen Speisen. Wien: Czernin, 2007.
Wieser, Lojze; Wagner, Christoph; Maier, Barbara: Geschmacksverwandtschaften: Eine kleine europäische Speisefibel mit Rezepten. Europa Leben. Klagenfurt/Wieser: Wieser, 2009.
Schwendter, Rolf: Arme essen – Reiche speisen: Neuere Sozialgeschichte der zentraleuropäischen Gastronomie, Wien: Promedia, 1995
Wieser, Lojze (Text); Senegacnig, Heribert; Gebauer, Florian u. a. (Fotos): Der Geschmack Europas.
Band 1: Die ersten Stationen, Klagenfurt: Wieser, 2017.
Band 2: Weitere Stationen, Klagenfurt: Wieser, 2018.
Band 3: Zehn weitere Stationen, Klagenfurt: Wieser, 2019.

Culinaire L’Evrope #2 am 26.02, um 18.30 im Kasino am Schwarzenbergplatz.

Ticketbezug auf der Burgtheater-Website