Im Angesicht des Krieges gilt umso mehr: Europa – und die Welt – kann nur erlesen werden. Buch um Buch, nicht Krieg um Krieg.
Es ist ernst. Sehr. Und ärger, als in den Neunzigern, als Jugoslawien zu Grabe getragen wurde und zerfiel. Damals war’s zwar nach 49 Jahren der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, aber doch ein innerjugoslawischer, der noch nicht geopolitisch direkt auf die Neuaufteilung Europas gerichtet war, vielmehr der Illusion folgte, durch Nationalismus und eigenen Staat an Souveränität zu gewinnen.
Heute, 28 Jahre später, oder 77 nach dem Zweiten Weltkrieg, geht es zuerst einmal um das Abstecken der Claims der Imperialmächte Russland und USA, um Begradigung der Einflusssphären, was zugleich ausgelegt ist auf deren Ausweitung, und den Dritten Weltkrieg in sich trägt. Wer letztendlich davon profitieren wird – RU, USA oder China –, bleibt offen, Europa kaum. Europa kann, wenn es mutig genug ist, Lösungen liefern. Dafür muss es jedoch weit über sich hinaus gehen.
Sicher ist nur eins: Den Schaden, das Leid werden die Menschen zu tragen haben. Nicht nur in der Region. Wie hoch der Blutzoll sein wird, weiß niemand.
Es rächt sich, in der Vergangenheit die Trommel des Chauvinismus und der Fremdenfeindlichkeit geschlagen und keine neuen Sprachen zur Erlangung des Friedens gefunden zu haben.
Das ist das Bedrohliche am derzeitigen Geschehen. Und: Es bleibt uns nicht erspart, jetzt wenigstens darüber nachzudenken, welchen Weg wir gehen müssen, um Frieden zu erreichen und den Dritten Weltkrieg zu verhindern, ohne selbst zu Geiseln der imperialen Machtinteressen zu werden und somit zu deren Kanonenfutter.
Der Schaden wird größer, bis die Vernunft irgendwann einkehren wird und die Blendung erkannt. Wir werden einen kühlen Kopf und einen langen Atem brauchen. Wir werden Verbündete in allen Regionen suchen müssen, das Verbindende hervorheben und das Besondere fürs Gemeinsame nutzen wollen.
Europa hat, durch seine innere Konstellation und dadurch, als Erfinder der Demokratie und Menschenrechte zu gelten, die Chance, vergangene Versäumnisse zu korrigieren und neue Wege zu gehen. Der Frieden wird in Kenntnis der Unterschiede durch Achtung und Würde zu finden sein – in der jeweiligen Kultur und Sprache, die dadurch zur Sprache der Menschenrechte wird, unabhängig von Nation, Staat und Religion.
Die radikale Abkehr von der Sprache der Aggression, des Krieges, des Nationalismus und der Verteidigung von Privilegien – alles überkommene und falsche Haltegriffe – würde das Tor für in der Zukunft liegende Lösungen öffnen. Alle in der Vergangenheit liegenden Versuche und Argumentationen für den Erhalt des Friedens sind gescheitert.
In Ermangelung neuer Visionen, wie Menschen und Kulturen, wie Sprachen miteinander friedlich leben sollten und könnten, setzt man auf Härte, Terror, Verhetzung und Hass. Dabei vergisst man, dass das 20. Jahrhundert ein Jahrhundert der Kriege war, dass die aus nationalistischem Egoismus betriebenen, völkerbundbetreuten und stalinistischen großflächigen Verschiebungen von Menschen und deren chauvinistische Assimilation zum Nährboden für die industrielle Vernichtung von Menschen durch die Nationalsozialisten wurde, die sich zum Ziel setzte, die jüdische, die Roma-, Sinti- und die slowenische Kultur auszurotten, und die mit dem „unwerten Leben“ experimentierte, um Grundlagen fürs eigene bessere Leben medizinisch zu „erforschen“.
Bücher übersetzen und lesen bedeutet Leben! Das zeigt sich gerade in diesen Tagen und es zeigt nur noch mehr, dass es uns nicht erspart bleibt, Kultur und Literatur – wegen ihrer unendlichen Phantasie – vielfältigst zu fördern und als Zukunftsinvestition zu begreifen, um sich wieder näherzukommen, um eine Trennlinie zwischen imperialen Machtinteressen und den am Frieden hängenden Menschen zu ziehen und die überkommenen und unfähig gewordenen Begriffe durch offenen Geist und neue Sprache und Begriffe der Verständigung zu befördern und zur Geltung zu bringen.
Es bleibt uns nicht erspart, dies zu tun. Je früher wir damit beginnen, desto rascher wird eine auf den Frieden gerichtete Lösung gefunden werden. Tun wir es nicht, werden der Schmerz und der Schaden nur noch größer, und die werden uns dann zwingen, es trotzdem zu tun – aber unter viel tragischeren Umständen.
Europa – und die Welt – kann nur erlesen werden. Buch um Buch, nicht Krieg um Krieg. Ich denke, das ist es, was uns das hinter uns liegende Jahrhundert lehrt, und an uns liegt es, dass im Angesicht eines neuen Krieges in Europa das 21. Jahrhundert doch noch zum friedlichen gewandelt werden könnte. In den Worten, in den Sätzen, in der Phantasie liegt alles verborgen, wir müssen es nur gemeinsam, über alle Grenzen hinweg, finden wollen.