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Was fast als ‚Aprilscherz‘ begann, währt nunmehr 40 Jahre. Am 1. April 1981 begann mein verlegerisches Leben

Bevor der Tag zur Neige geht, möchte ich mich noch an den 1. April 1981 erinnern. Das war mein 1.Tag als Verleger in Kärnten. Begonnen habe ich als Leiter der Drau VerlagsGmbH und der Buchhandlung Naša knjiga/Unser Buch. Ich glaube, Tags darauf habe ich beschlossen, den Namen des Verlages in der Öffentlichkeit als Založba Drava Verlag zu verankern. Und wenn ich mich nicht irre, hat Peter Handke an diesem Tag, dem 2. April 1981, seine Übersetzung vom ‚Zögling Tjaž‘, mit Helga Mračnikar und dem Autor Florjan Lipuš, im Stadthaus, vorgestellt. So begann alles, dass nunmehr 40 Jahre währt. 

Es waren bisher schöne, mühsame Jahrzehnte, denn literarisch war das Land ein Ödland und die slowenische Literatur unbekannt, ungeliebt und unübersetzt. Es galt viele unsichere Wege zu betreten, Wagnisse einzugehen, zu scheitern und weiter zu tun. Und doch: Es hat sich viel bewegt.
Wir stehen heute anders da, als vor vierzig Jahren. Wie es um die Literatur heute steht, habe ich im Buch „Im dreißigstem Jahr. Weitere Anmerkungen eines Grenzverlegers“  erzählt und dokumentiert.


Zu meiner Arbeit möchte ich zwei Stimmen zu Wort kommen lassen. Ich denke, sie fassen den steinigen Weg, den ich gegangen bin, recht gut in Worte. 

Joachim Riedl schreibt in der ZEIT Österreich: „Lojze  Wieser  ist  der  Extremsportler  unter  den  Verlegern.  Aber  er  stürzt  sich nicht  deshalb  in  seine  oft  kühnen  Projekte,  weil  er  süchtig  wäre  nach  dem Adrenalinrausch,  den  so  ein  verlegerisches  Wagnis  auslösen  könnte.  Er  geht vielmehr  an  Grenzen  und  nimmt  es  in  Kauf,  immer  wieder  am  ökonomischen Abgrund  zu  balancieren,  weil  er  leidenschaftlich  für  seine  Bücher  brennt  und für  die  Literatur  ganz  allgemein.  Er  schreibt  ihr  geradezu  heilsame  Kraft  zu,  in seinem  Verständnis  ist  sie  ein  Zaubermedium,  das  die  Kraft  besitzt,  zu  heilen, was  nationalistischer  Ungeist  in  den  Köpfen  anzurichten  vermag. (Von Joachim Riedl 29.  Mai  2017,  2:00  Uhr   /  ZEIT  Österreich  Nr.  22/2017,  24.  Mai  2017   / AUS  DER ZEIT  NR.  22/2017)


Die zweite Anmerkung kommt vom allzufrüh verstorbenen Autor, Charta 77 Mitbegründer, Diplomaten und Welt-PEN Präsidenten Jiří Gruša, der 2006 folgende kleine Geschichte – augenzwinkernd und schwejkisch – über mich zu erzählen wusste:

„Er  stammt  aus  Klagenfurt.  Als  Slowene  könnte  er  klagen,  doch  er  hat daraus  einen  Vorteil  gemacht.  Damals  lag  noch  um  die  Ecke  Jugoslawien.  Ein  Mischbegriff,  der  ähnlich  wie  die  alte  Tschechoslowakei  darauf  hindeutete,  dass  es  aus  einem  Österreich/Ungarn  stammt. All  die  Staaten  dieses  Raumes  mit  ihren  versteckten  oder  entblößten Bindestrichen  simulierten  ein  Ganzes,  dessen  Zusammenhänge  noch nicht  vorhanden  waren.

Zuerst  wollte  er ‚Europa  ohne Grenzen‘ und  manche  warfen  ihm  vor,  er  handle  utopisch.  Doch  er war  philosophisch.  Er  wusste,  Europa  liegt  am  Ursprung  der  Dinge. Vielleicht dachte er an einen alten Griechen, der eben das grenzenlose  für  den  Anfang  des  klugen  Schaffens  hielt. 

Dann  wollte  er  ‚Europa  erlesen‘,  vielleicht  erlösen  durch  Texte der  anderen.  Er  wusste,  dass  in  der  Welt  von  heute,  die  sich  so  rasant verkleinert,  das  Lesen  schwächer  wird,  da  wir  in  der  Welt  der  Bilder leben,  und  dass  die  Literatur  einer  ‚Pictoratur‘  weicht,  die  die  wichtigste  Bedingung  der  Koexistenz  schwächt,  nämlich  die  Belesenheit. 

Doch  Globalisierung  ist  nicht  nur  ein  Schimpfwort,  letztendlich bringt  sie  auch  etwas  Gutes.  Aus  jedem  Dorf,  böhmisch,  slowenisch, österreichisch,  wird  nämlich  die  Weltmitte,  wenn  es  sich  als  Gelesenes  und  nicht  als  Erlösendes  darstellt.  Also  hat  Lojze  etwas  Gewagtes versucht.  Er  suchte  keine  Marktlücke  als  Verleger,  also  kein  Bedienen  der  Lüste,  sondern  er  schlug  eine  Bresche  in  die  Festungsmauern unserer  Vorurteile  mit  seiner  Enzyklopädie  des  europäischen  Ostens, und  damit  wurde  der  bisherige  Hochmut  des  Westens  relativiert.  Er ist, wie jemand so trefflich bemerkte, ein ‚Grenzverleger‘ ich füge hinzu:  Er  verlegt  die  Grenzen. (…)


Aber  er  ist  auch  ein  Verleger,  der  seine  Autoren  in  Verlegenheit bringt,  indem  er  ihnen  zeigt,  dass  das  Wissen  auch  schmecken  kann. Dieser  Wieser  weiß,  dass  die  ‚Zunge  weiter  reicht  als  die  Hand‘. Unvergessen  ein  Abend  in  Perchtoldsdorf.  Busek  zu  Ehren  war  ich in  einen  alten  Keller  geladen,  ausgefüllt  von  einem  strahlenden  Lojze, vor  sich  einen  noch  glänzenderen,  gewaltigen  slowenischen  Schinken, von  dem  er  unermüdlich  Scheiben  säbelte  und  dessen  unnachahmliche Vorteile  pries.  Dies  jedoch  war  nur  der  Auftakt  zu  einem  kulinarischen Feuerwerk,  und  auf  dem  satten  Heimweg  konnte  ich  nur  noch  seufzen: Wieser,  ein  wahrlich  schmackhafter  Verleger.  – Ich  hab  ihn  zum Fressen  gern.“

(Jiří Gruša, Der weise Wieser; 2006  in  Wien,  anlässlich  der  Präsentation  von  WEEO  Band  18; zitiert nach „Im dreißigstem Jahr“ S.390/91)

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