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10. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. Mit dem KELAG Preis prämierter Bachmanntext von Egon Ch. Leitner

Viel scheint sich, vom Denkansatz her, in den letzten 175 Jahren, wohl nicht geändert zu haben und wir bekommen aus den Schlachthöfen und von Erntehelfern quer durch Europa Bilder zu sehen, die den einstigen Lebensbedingungen des 19. Jahrhunderts bedrohlich näher kommen. Es ist Zeit für eine Aufarbeitung. Die heutige Lage der arbeitenden Klasse in Europa drängt in den Vordergrund. Ich sehe schon, wie so einige zusammmenzucken beim Wort „arbeitende Klasse“, die es nach all den Jahrzehnten nicht mehr geben soll. Getauscht: Arbeitnehmer – Arbeitgeber. Wer gibt wohl, wer nimmt wohl?

Die Pandemie, scheints, funktioniert wie eine Lupe und bringt zutage, was unsichtbar schien. Egon Christian Leitner lenkte schon 2012, in seinem Sozialstaatsroman „Des Menschen Herz“, den Blick auf diese Verhältnisse und wurde als übertriebener Mahner gerne zur Seite geschoben. Sein nun mit dem KELAG Preis prämierter Bachmanntext ist die Fortsetzung des Sozialstaatsromans, er ist eine Erweiterung und Konkretisierung der vor unseren Augen sich einschleichenden Verelendung der Gesellschaft, die „die ‚Verdrittweltlichung der Ersten Welt‘ (zB. ewiger, stets verleugneter Pflegenotstand), nicht durch die Flüchtlinge, sondern durch den Narzissmus der Eliten“ offensichtlich macht.

Die Schere wird immer weiter geöffnet, ihre Schneiden werden schärfer. Dass dieser Inhalt beim Bachmannbewerb gewürdigt wurde –  Klaus Kastberger hat den Text nominierte und wurde fast selbst vom Erfolg überrascht – ist der sichtbar und greifbar  gewordenen Wirklichkeit geschuldet. Es scheint sich eine Verschiebung der Wahrnehmung anzukündigen, die nur noch deutlicher, nur noch klarer darauf hinweist, wie groß die Not nach einer Aufarbeitung der sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und der damit verbundenen menschlichen Lebensbedingungen geworden ist und wie schmerzhaft und zerstörend  das fehlende Helfen und Beistehen ist. Leitners Sozialstaatsroman und sein prämierter Text können hier dankbare Haltegriffe sein.

Stimmen zu Egon Christian Leitner:

Deutschlandfunk: Egon Christian Leitner las den sozialkritischen Text „Immer im Krieg“ in Form von einzelnen Geschichten über Menschenschicksale im Sozialstaat. Für Philipp Tingler zu rigide und verstaubt, doch die übrigen Jurymitglieder fanden verteidigende Worte. Klaus Kastberger war regelrecht begeistert. In seiner Laudation wandte er sich direkt an Egon Christian Leitner: Er sei „glücklich, dass diese Art von Literatur in Klagenfurt eine Chance hat.“ Sein bisheriges Werk umfasse drei Bände. Alles fügte sich zu einem Begriff: Sozialstaatsroman. Darin benenne Leitner auch drängende Probleme: „Sozialstaat selbst hat auch ein Problem, in diesen Gesellschaften ist bei weitem nicht alles gelöst. Wir müssen auf dies ungleichen Verteilungen schauen.“ Er halte die Preisvergabe daher „für ein kleines Wunder.“ 

SWR: „Der Grazer Schriftsteller Egon Christian Leitner, der mit seinem wuchtigen Werk gegen die herzlosen Verhältnisse im Sozialstaat zu Felde zieht (..) ist ein Berserker, ein aus der Zeit gefallener, der vielleicht gerade deshalb unsere Zeit so gut beschreiben kann. Sein Schaffen, das auf vielen hundert Seiten bereits veröffentlicht ist, gilt es nun zu entdecken.“ (SWR)

ORF: „Klaus Kastberger sagte zu seinem zweiten Autor, dieser habe 1.200 Seiten in seinem Werk von drei Bänden geschrieben, ein Sozialstaatsroman, dessen vierter Band im Herbst erscheine. Er weise Leser in einer unglaublich rigiden Art auf Ungleichheiten im Sozialstaat hin, dass man hinschauen müssen. Das zentrale Wort sei das „so“, er stelle fest, wie es ist. „So, jetzt ist die magersüchtige Frau verhungert“, das „so“ zeigt sich auch heir: „So, jetzt hat Egon Christian Leitner einen Preis. So, jetzt haben Sie Ihren Preis und machen Sie, was Sie wollen“, so Kastberger ironisch zum Preisträger. Werner Pietsch von der KELAG gratulierte zum „mutigen und gelungenen“ Text, der Teil eines großen Ganzen sei. (…)“

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9. (Über)Leben in Zeiten wie diesen. “ Und, wie geht es dir?“ 3. Juni 2020

Grad heute, oder wars schon gestern, fragte mich ein Freund: Und, wie geht es dir? Hier, meine Antwort: 


Du fragst, wies läuft? Da gibt es keine eindeutige Antwort. Einerseits versuchen wir aus der Kurz-Arbeit heraus im digitalen Bereich eine breite Interessenswirkung für die Bücher zu entwickeln. Wir haben gute Resonanzen, die aber im Buchhandel gefiltert ankommen. Im öffentlich rechtlichem Bereich würden wir uns eine systematischere Unterstützung, nicht nur eine punktuelle wünschen, aber das ist wohl aus zweierlei Dingen nicht möglich: einerseits hat der ORF, aber auch die Zeitungen, ihre Kultur auf Kurz-Arbeit geschickt, andererseits sind unsere Vorstellungen, was wie zu tun wäre grundsätzlich verschieden, denke ich. In vielen Bereichen beginnt die mediale Welt wieder die Hochkultur anzubeten und vergisst, woher der Hummus kommt. Eine dritte Ebene, die das Leben schwerer macht, als notwendig, ist, dass wir keine Signale erhalten, wann die Verlagsförderung – und in welcher Höhe – kommen wird. Hätte, in unserem Fall, Kärnten nicht rasch seine Fördersumme vorgezogen angewiesen, stünden wir heute ohne Liquidsmittel da. Unsere reichen noch bis zur zweiten Junihälfte, dann wirds eng. Von der Bank hören wir, trotz Nachfrage seit 7 Wochen nichts. Nichts, was die Vorfinanzierung der Kurz-Arbeit – durch Rahmenerhöhung – nichts, was einen Kredit anbelangt. Du stehst da, wie die Kuh vor einer Bibel. 

Wir arbeiten sehr, sehr sparsam, betreuen einen Autor, der beim Bachmannbewerb auftreten wird, servisieren die Medien mit PDFs und Besprechungs-Exemplaren, vermitteln Interwievs, servisieren z.B. Radiostationen, die eine Sendung über 100 Jahre Volksabstimmung vorbereiten – nicht nur mit Büchern, auch mit Gesprächspartnern, die wir vermitteln. Wir machen wöchentlich ein Newsletter, der an tausende Abonnenten geht,  haben zwei Kataloge gemacht, bereiten die Frankfurter Messe vor, obwohl auch die in letzter Minuten fallen kann; ich bin in den Vorarbeiten für zwei Geschmacks-Filme, obwohl auch hier der Realisierungsfaktor bei 1:2 – ja oder nein – steht, gebe 3 Bücher heraus: eines ediere ich ganz, schreibe beim Zweiten das Vor- u das Nachwort; wir versuchen soweit wie möglich, die Bücher lieferbar zu halten und unserer Programmatik, Literatur aus dem europäischen Osten weiterhin systematisch aufzulegen, nachzukommen, bringen in der Reihe Ultramarin gesellschaftlich vertiefende Essay, die wir zur Diskussion stellen, eröffnen Europa die Tore zur Emotionalität, mit Europa erlesen und dem Geschmack Europas, legen Grundsteine durch die Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens und weiten unseren Wirkungskreis in die Theaterwelt (Culinaite L’Evrope im Burgtgeater) und in den Tourismus aus (die von mir mitbegründeten Tage der Alpen-Adria Küche in Klagenfurt/Celovec – das 3. Mal im September).Wir sind Gesamtkulturell mit neuen Ideen präsent, gerade eben auch mit Vorschlägen an For Forest, wie man kukturell und künstletisch den Wald im Stadion langfristig wirken lassen könnte…Das ist alles mit Arbeit, Kreativität und angehäuftem Wissen, aus Jahrzehnten, zwar – immer wieder – zu machen, aber es ist Präkariatentum und findet nicht jene Anerkennung, die über den Rand des Bettelns und verzweifelten Bittens hinaus geht. 

Schau dir nur die Zahlen der letzten 20 Jahre in den Bundesförderungen an – im Vergleich mit dem, was andere Verlage oft bei weniger Aktivitäten, bekommen.Ich frage mich: Gibt es da ein Gefälle –  Wasserkopf Wien versus Steppe Provinz? Dieses Mießverhältnis kommt zu allem anderen dazu und verstärkt das Gefühl der ungleichen Behandlung. (Ja, ja, ich höre sie, die Sprüche: Juryentscheidung u.v.a.m).

So, jetzt hast du einen kleinen Einblick und einen Versuch meinerseits, einer unvollständigen Antwort auf deine Frage bekommen. So schauts aus und Corona machts es nur sicht- und schmerzhaft spürbarer! 

Wie sagte es Maria Lassnig? „Mit der Kunst zusammen: da verkommt man nicht! Ohne Kunst verkommt man und ich besonders.“ Dem habe ich wahrlich nichts hinzuzufügen.