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8. (Über)Leben in Zeiten wie diesen – mit Büchern. Sie sind „Beiseln+Wirte der Seele“. 14.5.2020

„Literatur ist Alchemie: Alltagsstoff verwandelt sich in Gold. Aber es ist Alchemie in Zeitlupe. Wie sie funktioniert, können Schriftsteller meist selbst nicht sagen (Literaturkritiker auch nicht)“, schreibt Martin Ebel am 11. Mai im Tagesanzeiger.

Die Literatur, die Musik, ja die Kunst verbindet dich mit etwas, was größer ist als du selbst. Diese Feststellung als Kompliment kam dieser Tage per Tweet: „Das literarische Leben geht unbeirrbar weiter … auch dank des Wieser Verlages und seiner Kreativen. Wie das Wasser findet es seinen – immer wieder neuen – Weg, alle Hindernisse umfließend, um im Meer seiner Bestimmung aufzugehen, schreibt uns Arnulf Spiess, ein alter Freund.

Und weil wir in einer Zeit leben, die mit der Bewältigung der aktuellen Pandemie uns nicht vergessen lassen darf, dass die geistige noch viel tiefer sitzt, finde ich mich an Diderot erinnert, der mit seinem enzyklopädischen Ansatz der Disharmonie und der kaleidoskopartigen Betrachtung die Breite der Vielfalt skizziert, die sowohl im Konsens als auch im Widerspruch zueinander den gesellschaftlichen Fortgang erst ermöglicht. Das ist in den heutigen Debatten, schnell hingesagten Vorwürfen und seichtem Getwitter, wie es scheint, zu oft verschollen.

Wie auch vergessen scheint, dass wir Anfang der Neunzigerjahre noch vieles ändern hätten können, da war die chauvinistisch-nationalistische Zerstörungswut noch nicht entbrannt; mit den Briefbomben begann es sich zu drehen und alle, ja alle Parteien öffneten ab da dem Populismus Tür und Tor, und dieser hielt, von Österreich ausgehend, Einzug im europäischen Diskurs, bis er diesen bestimmte. Wir müssen nicht weit schauen und erkennen seine Fratze in der Unterscheidung zwischen „in Österreich lebenden Menschen“ und „Österreicherinnen und Österreichern“, im Schließen der Augen vor der Not auf Lesbos und den Elendsquartieren, im menschenunwürdigen Umgang mit den ErntehelferInnen oder der unwürdigen Sonderzugaktion für Pflegerinnen. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.

Wir hielten mit unserer Verlagsarbeit konsequent dagegen, organisierten während des Krieges um Jugoslawien Unterstützungen für Autoren auf der Flucht, boten ihnen Exil und halfen ihnen zu überleben. Wir übersetzten systematisch Literatur aus Südosteuropa, dem Balkan und dem europäischen Osten, gründeten die „Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens“, um dem Manko an Wissen über diesen Raum entgegenzuwirken, und mit „Europa erlesen“ gaben wir Europa einen literarischen Begriff, indem wir europäischen Regionen und Städten literarische Visitenkarten ausstellten und der Emotion, dem Gefühl und dem Gesicht Worte und Verse gaben – allein in dieser Reihe in 230 Bänden.

Damals wie heute wussten wir: Es ist die Literatur, die unsere Ängste und Unsicherheiten eindämmt. Es ist die Literatur, die dir das Gefühl für die Zeit wieder gibt (siehe Antescriptum Wieser-Herbstkatalog).

Literatur ist geistige Nahrung, Literatur ist ein Grundnahrungsmittel, ohne das eine Gesellschaft zugrunde geht und verwelkt. Bücher sind Lebensmittel der Seele, von ihnen hängt das Gleichgewicht der Seele und die erfolgreiche Zukunft ab. Drum ist es nur recht, wenn diese „Beiseln+Wirte der Seele“ mit Büchergutscheinen für heimische Verlage, im Buchhandel einlösbar, wieder erweckt und belebt werden. Daher mein Vorschlag: Für Leser mit Tendenz zum Zweitbuch 25 €, für geübte und Mehrleser 50 €.

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7. (Über)Leben in Zeiten wie diesen – durch „Europa erlesen“. 7. Mai 2020.

Was für eine schöne Ehre und Auszeichnung am Vortag zum 8. Mai!

Auch die EU-Kommission Wien nützt den vom Wieser Verlag erfundenen Namen „Europa erlesen“ für eigene Veranstaltungen.

Die 1997 im Wieser Verlag gegründete Reihe „Europa erlesen“ ist jetzt titelgebend für Lesungen, die die EU-Kommission in Wien im Zuge der Europa-Woche organisiert hat.

Ob es sich bis zur EU-Kommission in Wien durchgesprochen hat, dass in dieser Reihe bislang 230 Titel – zu Regionen und Städten faktisch aller Länder Europas und darüber hinaus – erschienen sind?

Wir werden es vielleicht gar nie erfahren …

In diesen Tagen der Selbstisolation führten mich die Gedanken zurück in die Zeit der Briefbomben und der Bewältigung der Angriffe auf den Verlag und mich als Person (1994–1997).

Angeschlagen suchte ich, allein geblieben, von vielen Weggefährten im Stich gelassen, verunglimpft und verleumdet, nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation.

Es geht ja noch immer um Literatur! – sprach ich mir Mut zu und ich war mir bewusst: Es wird ohne neue Wege, ohne zeitgemäße, moderne Mittel nicht gehen! Zeitgleich mit der Erfindung der Reihe „Europa erlesen“ bauten wir – mit neuen Verbündeten und neuen WegbegleiterInnen – auf die Anfang der Neunzigerjahre gemachten Erfahrungen mit dem Internet und begannen bewusst die neuen Möglichkeiten zu testen und zu entdecken.

Ich glaube, dass wir damit in der Buchbranche in Österreich unter den Pionieren waren. In der „Wayback Machine des Internet Archive“ kann man einen Blick auf die Fassung von 2000 werfen. Damals war Google noch neu, aber ich erinnere mich, wie sich allmählich „im Internet suchen“ zum schlichten „googeln“ wandelte und Google selbst zum Begriff wurde.

Wie schon erwähnt, arbeiteten wir im Verlag seit dem Frühjahr 1997 an der Idee einer neuen Reihe, die im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse das „Licht der Welt“ erblickte und die nicht einzelne AutorInnen, sondern eine europäische Region, eine europäische Stadt literarisch in Augenschein nimmt. Wir gaben Europa Hoffnung!

Damit und – ich wage es zu behaupten – darum (!) ist uns auch gelungen, aus „Europa erlesen“ ein geflügeltes Wort und in Folge „Europa erlesen“ zur Wort-Bild-Marke zu machen. Zu einem Begriff, an dem auch so manche gut dotierte Kommission nicht vorbeikommt und sich bedient …

Wir und Sie, werte Leserschaft und geschätzter Buchhandel, wissen schon lange von der Bedeutung von Kultur und Literatur und dem Wert der Reihe „Europa erlesen“ und freuen uns sehr, nehmen aber den offensichtlichen und stillschweigenden „Unsichtbaren Orden“ (Erhard Busek, siehe unten) zum Anlass, an vielen weiteren Bänden der Reihe zu arbeiten.

„Gestern wurde bei dem Verlagsfest in der Diplomatischen Akademie dem Wieser Verlag der „Unsichtbare Orden“ (Erhard Busek in der Einbegleitung) für seine Verdienste um Integration und Verständigung durch Kultur und Literatur verliehen. Österreich und Europa braucht solche Verlage und Verleger, die mit langem Atem durch Beharrlichkeit alle Höhen und Tiefen zu durchschreiten fähig sind.“ (17.5.2017)

Stand am Anfang Voltaires Satz „Europa kennen, Europa erkennen“, haben wir diesen weiterentwickelt: Wir wussten, wir werden Europa nur erkennen, wenn wir EUROPA ERLESEN und es erhören!